Arne Hoffmann

Prostitution in Deutschland

Eine Diskussion des Buches von Tamara Domentat: "Lass Dich verwöhnen"

Tamara Domentats fulminantes Aufklärungswerk "Lass dich verwöhnen" räumt gekonnter mit Mythen aus dem Bereich der Sexualität auf als jedes andere Buch, das ich dazu in den letzten Jahren gelesen habe. Dabei hat sich Domentat auf ein spezielles Thema aus dem Gesamtgebiet Sexualität konzentriert: Ihr Werk ist eine Zusammenstellung populärer Irrtümer über die Prostitution. 72 hartnäckig erhalten gebliebene Klischees werden von ihr nacheinander auf den Prüfstand gestellt und wenn nicht komplett widerlegt, dann doch zumindest sehr stark ausdifferenziert.

Domentat macht von Anfang an deutlich, dass sie schon, als sie Bekannten von ihren ersten Forschungsergebenissen berichtete, auf starken Unglauben stieß. Die befragten Prostituierten hatten sich mit ihrem Job nämlich sehr zufrieden gezeigt. Und die Art, wie sie das taten, wirkte auf Domentat nach immerhin zwei Jahrzehnten Erfahrung mit Interviews glaubwürdig und stimmig. Wenn immer Domentat aber die positiven Eindrücke ihrer ersten Bordellkontakte vermeldete, wiegten die Männer bedenklich den Kopf und die Frauen erklärten "Also ich könnte das nicht!" - so als ob ihnen gerade ein Berufswechsel nahegelegt worden wäre. Obwohl diese Skeptiker bei den Interviews nicht anwesend gewesen waren, zeigten sie sich überzeugt, dass die Huren Domentat und sich selbst in die Tasche gelogen hatten. Daraufhin ließ Domentat drei Jahre Recherche folgen, in denen sie nicht nur mit etwa 140 Prostituierten und Kunden sprach, sondern auch mit ExpertInnen aus den unterschiedlichsten Projekten sowie Sozial- und Sexualwissenschaftlern, und in denen sie zahlreiche Studien, Erhebungen, Artikel und andere Quellen sichtete. Das Ergebnis dieser intensiven Ermittlungen: "Dass die Prostitution in vielen Segmenten freiwillig, selbstbestimmt und gleichberechtigt abläuft, ist weder Fiktion noch Schönfärberei, sondern alltägliche Realität." Es sei überfällig, Prostitution "nicht länger als problembeladenen Lebensentwurf zu dämonisieren, sondern als sexualisierten Lebensstil anzuerkennen, als Recht des einzelnen auf Freiheit und Selbstverwirklichung".

Zu den Klischees, die Domentat sich vornimmt, gehört etwa, dass nur Geldnot Frauen in die Prostitution treiben könne. Tatsächlich werde dieser Grund oft vorgeschoben, weil die Sexarbeiterinnen durch die Erwähnung finanzieller Not oft die einzige Möglichkeit sahen, um nicht entweder als nymphomane Schlampen oder aber als sexuell/emotional gestört abgewertet zu werden. Als die Prostitutionsforscherinnen Steffan und Leopold ihre Probandinnen befragten, bekamen sie allerdings ganz unterschiedliche Gründe zu hören, darunter: sexuelle Neugier, Tabubruch, Bestätigung und Lust auf neue Erfahrungen.

Das Klischee, dass Frauen durch Sexarbeit unweigerlich psychischen Schaden nehmen würden, führt Domentat hingegen auf eine selektive Wahrnehmung zurück: "So suggerierte eine 1998 erschienene Fünf-Länder-Studie über die psychischen Auswirkungen der Prostitution durch ihre globale Orientierung den Anschein von Repräsentativität, untersuchte aber de facto in allen Ländern - Südafrika, Thailand, Sambia, der Türkei und den USA - nur Elends- und Drogenprostituierte." Wen wundert da das Ergebnis, dem zufolge die überwiegende Mehrheit der Befragten an posttraumatischen Stresssyndromen litt? Ähnlich einäugig verlief die Forschung in Deutschland: 1999 vergab die Berliner Ärztekammer einen Preis für die Examensarbeit einer Psychologin über "Prostitution und Gesundheit". Befragt hatte die Studentin Beratungsstellen und Interessengruppen, die hier ein Armuts- und Notlagenproblem vermeldeten. Dazu Domentat: "Niemand hätte ernsthaft etwas anderes erwartet, denn schließlich verdanken die Akteure an der Beraterfront ihre Legitimation den weniger privilegierten Prostitutionssegmenten, und ihre Angebote richten sich fast ausschließlich an diese Zielgruppe." Tatsächlich stelle seit den neunziger Jahren eine neue Generation von Sexual- und Prostitutionsforschern die Vorstellung von der grundsätzlich entwürdigenden Sexarbeit international in Frage. Erste überraschende Erkenntnisse: Die Prostituierten erlebten in ihrem Privatleben mehr Orgasmen als andere Frauen, und in einer Studie über Dominas berichteten 90 Prozent der Befragten von positiven Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf ihre Lebensqualität und ihr Gefühlsleben.

"Wer den sozialen Wert, den therapeutischen Nutzen der eigenen Arbeit kennt und seine berufliche Identität akzeptiert", folgert Domentat, "fühlt sich vor selbstwertmindernden Botschaften besser geschützt als Frauen mit negativem Selbstbild." Als belastend erlebt wird oft nicht der Job selbst, sondern das damit verbundene Doppelleben und der Ruch der "Abartigkeit", wenn frau offen darüber spricht, Spaß bei ihrer Arbeit zu haben. Aus Angst vor solchen Abwertungen schweigen viele Prostituierte lieber darüber. Domentat ist sich sicher: "Zwischen den Sexualprojektionen unserer Gesellschaft und dem subjektiven Empfinden vieler Frauen klafft ein Abgrund der Ignoranz und der Vorurteile."

Ein unsinniges Klischee sei es auch, wenn man davon spreche, dass eine Prostituierte ihren Körper verkaufe oder gar ihr Selbst. Tatsächlich bietet sie eine Dienstleistung an. Warum verkauft in unser kulturellen Wahrnehmung nur eine Prostituierte ihren Körper und ihr Selbst und nicht etwa ein Bauarbeiter? Domentat zufolge ist "die Unterscheidung zwischen asexueller Arbeitskraft und Sexarbeit zutiefst willkürlich und basiert auf der Prämisse: Der Mann HAT ein Geschlecht, die Frau IST ihr Geschlecht." Eine solche Gleichsetzung sei aus mehreren Gründen fragwürdig: Es finde keine Unterscheidung statt zwischen erzwungener und eigenverantwortlicher Prostitution, fairen und unfairen Arbeitsbedingungen. Die Abwehrmechanismen des Ich würden ebenso unterschätzt wie die Handlungsspielräume von Dienstleisterinnen und ihre Möglichkeiten, eigene Interessen durchzusetzen. Und nicht zuletzt kehrten "die Feministinnen unter den Prostitutionsgegnern auch das sexuelle Selbstbestimmungsrecht unter den Teppich, das sie in puncto Abtreibung und sexualisierter Gewalt nie müde wurden ins öffentliche Bewusstsein zu tragen." Es gebe keinerlei Anzeichen dafür, dass Frauen psychosexuell weniger robust seien als Männer. "Ebenso wie wir heute nicht mehr davon sprechen, dass Jungfrauen ihre Unschuld verlieren, sollte auch das Stereotyp von der Prostituierten, die ihren Körper (oder ihr Selbst) verkauft, auf dem Friedhof der Sprachklischees eine letzte Ruhestätte finden."

Dass Frauen sich immer aus einer Zwangslage heraus prostituierten, sei ein weiteres Klischee. "Glaubt man den Moralisten", so Domentat, "so stehen Sexarbeiterinnen von Anfang an unter Druck: Bei der Zwangsprostituierten steht ein skrupelloser Zuhälter, bei der Beschaffungsprostituierten die Droge, bei der Elendsprostituierten die materielle Notlage, bei anderen ein frühes Missbrauchstrauma Pate beim Einstieg in die Welt des käuflichen Sex." Diese Opferrhetorik reduziere jedoch die komplexe Entscheidungsfindung vieler Frauen auf einen zentralen Beweggrund, unterstelle den Frauen minimale Handlungskompetenzen und ignoriere "eine psychologische Grundregel: dass wir in beinahe jeder Situation Wahlmöglichkeiten haben." Entgegen dem Klischee sei Zwangsprostitution durch brutale Zuhälter wie im Krimi eine Randerscheinung der hiesigen Sexarbeitsszene. Zum einen sei die internationale Nachfrage nach entsprechenden Arbeitsplätzen in Deutschland so stark, dass Bordellbetreiber in keiner Hinsicht darauf angewiesen seien, Frauen erst überlisten oder prügeln zu müssen. Zum anderen sei die Zwangsprostitution für viele ihrer Betreiber ein Verlustgeschäft: "Verstört wirkende Frauen haben wenig Sex-Appeal, schrecken Gäste durch ihr apathisches oder verzweifeltes Erscheinungsbild ab und werfen ein ungünstiges Licht auf den Laden."

Beim Thema Frauenhandel laufe insbesondere die "feministisch inspirierte Beratungsform (...) zu Hochform auf und verzerrt mit ihren simplen Täter-Opfer-Klischees nicht nur die Realitäten (...), sondern redet ihren Klientinnen einen Teil ihrer Probleme regelrecht ein". Wenn Fußballspieler aus der Dritten Welt völlig legal und sehr lukrativ nach Europa verkauft werden, wird das nicht als moralisches Problem gesehen. Geht es hingegen um Sex, halten sich in unseren Köpfen Mythen wie aus dem düstersten Kriminalroman. "Während Expertinnen den Anteil der Migrantinnen, die unter Zwang oder Vortäuschung falscher Tatsachen in die Sexarbeit einsteigen, eher als Randphänomen bewerten, wird die Zwangsprostitution von den Medien mit tatkräftiger Unterstützung einiger Lobbyisten so aufgebauscht, dass zwangsläufig der Eindruck entsteht, jede osteuropäische Sexmigrantin würde gegen ihren Willen von einem Mafia-Russen nach Deutschland verschleppt." Expertinnen vor Ort, etwa die Sprecherin eines Frauenhandelsprojekts in Warschau, beurteilen die Situation differenzierter und weisen darauf hin, dass sich etwa zwei Drittel der Frauen mit ihrem zukünftigen Job vorher auseinandergesetzt hatten und wussten, was sie erwarten würde. Viele Illegale betrachteten diese Tätigkeit als Geschäft: Sie kauften sich darin ein wie in einen Betrieb, von dem sie sich langfristig einen Gewinn versprächen, und diese Investition müssten sie nun abarbeiten. Insofern fänden sie sich in den Medienklischees über Sexsklavinnen, wie sie ja auch von NGOs verbreitet würden, nicht wieder. Manche Osteuropäerinnen, die bei Razzien in Bordellen aufgegriffen würden, berichteten aus Scham oder aus Angst vor einer sofortigen Abschiebung, dass sie zur Prostitution gezwungen worden seien. Obwohl sie aus eigenem Antrieb emigriert waren, flüchteten sie nun in die Opferrolle. "Ihre der eigenen moralischen Entlastung dienenden Argumentationen", so Domentat, "gehen aber als Straftatbestände in die jährliche Frauenhandelsstatistik ein, die jedesmal ein breites Medienecho findet".

Tatsächlich existiere mittlerweile eine internationale Infrastruktur, bei der Frauen, die als Prostituierte in Deutschland gute Erfahrungen gemacht haben, ihre Freundinnen und Cousinen aus ihren Heimatländern zu uns holten. In diesem Zusammenhang richte die US-amerikanische Soziologin Wendy Chapkis scharfe Kritik gegen Feministinnen, die mit ihren Forderungen nach repressiven Maßnahmen "eine Selbstorganisation der Illegalen verhindert, indem sie die Frauen als passive, unschuldige Opfer darstellt". Tatsächlich ließe sich der missbräuchliche Frauenhandel viel effektiver bekämpfen, indem man den freiwilligen Frauenhandel entkriminalisiere und von seinem Stigma befreie. Auch in der linken deutschen Zeitschrift "Jungle World" fragte eine Kennerin der Szene unlängst, warum sich die feministische Front nicht ganz vom Begriff des Frauenhandels verabschiede. Sie liefert die Antwort gleich mit: "Dagegen spricht vor allem, dass sie mit diesem Thema noch am ehesten an staatliche Finanzierungen kommt. Viele Frauen-NGO haben sich früher einmal wegen der politischen Konkunktur des Themas auf extreme Menschenrechtsverletzungen in der Sexarbeit spezialisiert; heute geht es nicht wenigen um Selbsterhaltung." An ihren Taten, so Domentat, ließen sich die selbsternannten Gutmenschen jedenfalls nicht messen: Während in Thailand und Nepal Menschenrechtler tatsächlich verschleppte Mädchen aus ihren Bordellen befreiten, blieben hierzulande entsprechende Aktionen für die wahren Sexsklavinnen aus, während selbstbestimmte Prostitution in Bausch und Bogen mit verteufelt werde. Es reiche aber nicht aus, "eine Gruppe von Menschen pauschal zu Opfern zu erklären, sich selbst auf der Seite der Moral zu verorten und zu hoffen, dass die Interessen hinter der Fassade der Tugenden niemandem auffallen werden."

Domentat klagt an: "Aus Gründen des Selbsterhalts, des Profits oder des Weltbilds verweigern sich die Gutmenschen einer differenzierten Sichtweise. Mit selektiver Wahrnehmung, starren Feindbildern und fundamentalistischen Positionen vereinnahmen sie die Moral für sich und schaffen ein Diskussionsklima, das differenzierte Fragen und Antworten bewusst unterdrückt." Dabei ignoriere vor allem der feministische Mainstream "die Langzeitfolgen seiner männer- und sexualfeindlichen Dogmen: ein zunehmend unproduktiver Geschlechterkampf, der Männer und Frauen voneinander entfremdet und unter den klarer definierten Vorzeichen der kommerzialisierten Sexualität in alternative Beziehungsformen treibt." Eben diese neuen Beziehungsformen sieht Domentat aber auch als Chance: "Die Hure und ihr Gast repräsentieren eine Sexualität, die die Grenzen der Monogamie klar überschreitet. Sie erinnern die Gesellschaft daran, dass die Sexualität frei ist, dass erotischer Genuss und Privatsphäre sich ebensowenig gegenseitig bedingen wie unpersönlicher Sex und Würdeverlust." Im Kern sei es das Anliegen der Prostitutionskritiker, ihren eigenen sexuellen Lebensstil auch für alle anderen absolut zu setzen. Das hält Domentat für kein gerechtfertigtes Unterfangen. "Ebenso wie Schwule und Lesben und zunehmend auch Transsexuelle gesellschaftlich akzeptiert werden, sollte auch eine Sexarbeit, die zwischen Erwachsenen in gegenseitigem Einverständnis stattfindet, als eine von vielen Sexualitäten im Rahmen der Zivilgesellschaft anerkannt werden." Denn: "Eine humanistische Gesinnung respektiert das Selbstbestimmungsrecht aller an sexuellen Tauschgeschäften Interessierten. Sie bezeichnet Prostitutionskunden nicht als beziehungsunfähig, schwanzgesteuert, unreif oder sexsüchtig und destabilisiert Frauen, die die Sexarbeit mit Hingabe betreiben, nicht mit autoritären Selbsttäuschungsvorwürfen." In unserer individualisierten und pluralistischen Gesellschaft verliere eine essentialistische Sexualmoral, die sämtliche Kontexte übergehe, an Gültigkeit und Sinn. Mit dieser Einschätzung stimmt Domentat mit führenden deutschen Sexualforschern wie Gunther Schmidt ("Das Verschwinden der Sexualmoral") überein. Tatsächlich gehören in Domentats Augen Prostituierte ebenso zur sexuellen Avantgarde wie etwa Schwule, da sie "die Sexualität aus der Umklammerung staatstragender ehelicher Pflichten oder einem Überbau an romantischer Liebe" herauslösten.

Spätestens hier wird deutlich, dass eine Debatte über das scheinbar umgrenzte Gebiet der Prostitution eine Debatte über Sexualität und das Geschlechterverhältnis in unserer Gesellschaft an sich bedeutet. Und hier wird es besonders spannend. Einerseits offenbart sich Domentat in ihrem Buch nämlich immer wieder als in der Wolle gefärbte Feministin. So glaubt sie etwa an die Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft im Patriarchat, und häusliche Gewalt scheint für sie grundsätzlich zu bedeuten, dass Männer Frauen prügeln. Auch betont sie, dass ihr Buch ohne ein Stipendium des Förderprogramms Frauenforschung nicht möglich gewesen wäre. So wie viele andere Feministinnen erkennt Domentat aber auf ihrem eigenen Fachgebiet, dass bestimmte männerfeindliche Klischees schlicht unsinnig sind - so etwa dass Männer sexuell aggressiv seien, während Frauen Liebe brauchten, um Sexualität lustvoll erleben zu können. Domentat: "Die populärsten feministischen Parolen vermitteln den Eindruck eines unversöhnlichen sexuellen Interessenkonflikts." Dazu gehöre Andrea Dworkins bekannte These, dass heterosexueller Sex eine Kolonisierung von Frauen darstelle, Alice Schwarzers Gleichsetzung von Heterosexualität und Gewalt ("Außerdem wird für viele Männer Gewalt gleich Lust sein und darum die Penetration vielleicht heute doch auch das Lustvollste.") sowie die Behauptung, Pornographie sei die Theorie und Vergewaltigung die Praxis, "die sich trotz anderslautender empirischer Faktenlage in vielen Köpfen festsetzen konnte". Domentat erkennt hier eine extrem abwertende Darstellung männlicher Sexualität: "Männer waren sexuelle Monstren, penisschwingende Kolonisatoren. Schwanz- und orgasmusfixiert, standen sie den Bedürfnissen und Empfindungen der Partnerin gleichgültig gegenüber, instrumentalisierten ihre Sexualität für Zwecke der Macht, des Erfolgs und der Anerkennung. Dieses feministische Zerrbild entsprach auch in den siebziger Jahren keineswegs der Sachlage. Tatsächlich wiesen Shere Hite sowie die Sexologen Pietropinto und Simenauer schon damals nach, dass Männer mehrheitlich sexuell aktive Frauen bevorzugen, ihre Orgasmen lieber zugunsten einer längeren Lustphase zurückhalten und nicht-koitale Formen sexueller Aktivität ebenso genießen wie den Koitus. Mit solchen und ähnlichen ideologischen Positionen hat das feministische Establishment nicht nur jegliche Autorität verspielt, sich einigermaßen kompetent zu Themen der Männersexualität zu äußern. Indem Sexualität ausschließlich unter Gewaltaspekten thematisiert wurde, verriet der Mainstream-Feminismus auch den Diskurs über die Befreiung weiblicher Sexualität, der in den Anfangstagen des Feminismus noch eine entscheidende Rolle spielte. Er überließ die Sinnlichkeit Madonna, den analytischen Scharfsinn Camille Paglia und die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung zur weiblichen Sexualität der Pharma-Industrie. Neben dem Schüren einer archaischen Sexualangst war sein einziger und wohl konsequentester Beitrag einer Lösung in Zeiten allgemeiner Verunsicherung ein von Männerhass und separatistischen Heilsideen durchzogenes Lesbentum."

Auf diese Weise habe der Mainstream-Feminismus nicht nur Frauen und Männer gegeneinander ausgespielt, sondern auch Frauen beim Entdecken ihrer Sexualität und dem Überschreiten von Grenzen ausgebremst. So wie in feministischen Sexualmythen Männer als Unholde diffamiert wurden, erschienen Frauen als eine einheitliche Masse unendlich empfindsamer und zärtlichkeitsbedürftiger Wesen mit einer zerbrechlichen Sexualität, die nur innerhalb der emotionalen Sicherheit einer Beziehung gedeihen konnte: "In diesem Punkt waren sich konservative Parteien, katholische Kirche und das feministische Establishment einig, was im übrigen auch die seltsame Allianz erklärt, mit der alle drei mit ähnlichen Argumenten Prostitutionskritik betreiben." (Diese Einigkeit besteht übrigens auch auf anderen Feldern, etwa wenn es um Pornographie oder sexuelle Minderheiten wie die Sadomasochisten geht.) Dies führt Domentat zu der zugespitzten Frage: "Was wusste der Feminismus von gutem Sex, außer dass er irgendwie einfühlsamer abzulaufen hatte als ein Übergriff? Es war vor allem der Opferstatus, der den Feministinnen ein Eintrittsticket in die von einem soziologischen Zeitgeist beherrschte Diskussion bescherte, in der Privates gleichzeitig politisch zu sein hatte. Doch ein Feminismus, der Sex bevorzugt mit Sexismus oder Gewalt gleichsetzte, dessen emanzipatorische Ansprüche sich in beziehungsinternen Machtkämpfen erschöpften, der die Sinnlichkeit aufgab, korrumpierte letztlich das Geschlechterverhältnis. Seine sexualfeindlichen Botschaften trieben Männer ins Bordell und Frauen in die Therapie."

Dass diese vorurteilsbeladene Gegenüberstellung von sexuell aggressiven Männern und erotisch sensiblen Frauen auch den Frauen selbst schadet, erkennt etwa der von Domentat zitierte Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz: nämlich wenn diese Frauen ihre starken sexuellen Bedürfnisse nicht frei äußern können, weil sie sonst befürchten, als Schlampen zu gelten. Maaz spricht hier von einem "Lilith-Komplex", bei dem sich die Frau in eine Rolle begebe, "aus der sie den Mann mit ihren unerfüllbaren Sehnsüchten und Wünschen quält und schließlich die Beziehung mit ihren Enttäuschungen und dem Hass terrorisiert und zerstört. Die unterdrückte Lilith in ihr macht sie unzufrieden-bedürftig und lässt sie zickig-hexisch agieren, indem sie über Leiden, Klagen und Vorwurfshaltung Macht zu erlangen versucht".

Domentat indes kehrt noch einmal zu den bemerkenswerten Verbindungen zurück, die sie zwischen dem Feminismus und der katholischen Kirche zu erkennen glaubt. Beide seien von ähnlichen moralischen Grundpositionen geprägt, nur im Falle des Feminismus gelöst von ihrem religiösen Kontext: "Erklärte die Kirche Prostituierte im Namen des Christentums zu Opfern, so tut es der Feminismus im Namen des Patriarchats." Wo die Gegner der Prostitution einst von Unzucht und Sünde sprachen, da sprechen ihre Enkelinnen von sexualisierter Gewalt und Ausbeutung. Domentat erinnert daran, dass sich die frühe US-amerikanische Frauenbewegung aus puritanischen Kirchenverbänden rekrutiert hatte und deren missionarisches Sendungsbewusstsein offenbar ebenso erhalten geblieben sei wie ihr Sexualpessimismus. Aus diesem Grund betrachten Publizistinnen wie Camille Paglia auch jeden Versuch als zwecklos, Feminismus und Sexarbeit miteinander auszusöhnen.

Damit der Feminismus sich nicht den Vorwurf einfange, frauenfeindlich zu sein, sei er zu einer kuriosen Doppelbotschaft gezwungen: Ja zu einer Unterstützung der Prostituierten, nein zu einer Unterstützung der Prostitution. Diese Haltung vertrat Alice Schwarzer noch im Mai 2001 in der Talkshow "Sabine Christiansen". Als gemeinsamen Nenner dieser Zweigleisigkeit erkennt Domentat zum einen die Opferrhetorik und zum anderen das Bewusstsein, dass Männer (als Freier) Schweine seien. Besonders hilfreich sei diese Zweigleisigkeit aus verschiedenen Gründen nicht: Zunächst einmal würden selbstverantwortliche und erzwungene Prostitution, faire und unfaire Arbeitsbedingungen miteinander vermischt, um nicht zu sagen wild durcheinandergeworfen. Zudem würden mit der Fundamentalkritik an der Prostitution die betroffenen Frauen keineswegs gestärkt, sondern ihr Stigma vergrößert. Und schließlich stützten die Klischees von potentiell gewalttätigen Männern und zerbrechlichen Frauen das Bild einer defizitären weiblichen Sexualität, die nur in der Beziehung eine Chance habe, während bürgerliche Frauen den Sexarbeiterinnen geradezu aufzwangen, dass sie unpersönlichen Sex als Demütigung empfinden sollten. Das sei aber Unfug: Ebenso wie es Jobs, Beziehungen und Alltagserlebnisse gebe, in denen sich Frauen (und Männer) erniedrigt und ausgebeutet fühlten, gebe es dasselbe auch in der Prostitution. Es gebe aber überall auch zahllose Fälle, die von diesen Nachteilen in keiner Weise betroffen seien. Domentat: "Mit ihren totalitären Positionen zur Sexindustrie haben sich die feministischen Prostitutionskritikerinnen in eine Verliererecke hineinargumentiert, aus der sie jetzt nur noch schwer herausfinden. Während sich an ihren alten Schlachtrufen heiser schrien, ging die Realität an ihnen vorbei." Und wieder fühlt man sich hier an die Themen Pornographie und Sadomasochismus erinnert, zu denen aktuell häusliche Gewalt hinzustößt.

Domentat schlägt vor, den Wert feministischer Prostitutionskritik an ihren praktischen Auswirkungen zu messen. So werden in Schweden seit 1999 Freier mit Geld- und Haftstrafen bis zu sechs Monaten bestraft, indem man es als Form der sexuellen Gewalt definierte, die Dienstleistungen von Huren in Anspruch zu nehmen. Die "Emma" feierte diese Entwicklung wie besoffen in ihren Artikeln: Schließlich gelten im manichäischen Weltbild ihrer Redakteurinnen Freier/Männer grundsätzlich als Täter und Frauen/Huren grundsätzlich als Opfer. Übersehen wird, dass sich die Situation von Sexarbeiterinnen nach diesem männerfeindlichen Gesetz verschlechtert hat, und das obwohl sie ausdrücklich nicht ebenfalls kriminalisiert werden. Allerdings sind sie jetzt zum Beispiel wieder verstärkt auf Zuhälter angewiesen, die am Auge des Gesetzes vorbei den Kontakt zu potentiellen Kunden herstellen müssen und überteuerte Wohnungen weitervermieten. "Viele tauchten in die wesentlich brutalere kriminelle Unterwelt ab, arbeiten auf Schiffen in der Ostsee oder wandern nach Dänemark aus. Das ursprüngliche Ziel, die Prostituierten vor vermeintlicher Gewalt in Form eines sexuellen Tauschgeschäftes zu schützen, verkehrte sich in sein Gegenteil: Die reale Gewalt nahm (...) zu." Wegen des Mangels an Freiern ignorierten viele Huren jetzt auch Alarmsignale, die von manchen Männern ausgingen und die sie früher wahrgenommen hätten.

Domentats Fazit: Feministinnen, Politiker und Lobbyisten sicherten sich ihre Existenzen, ihre Ideologien und ihre öffentliche Wahrnehmung als moralische Instanz immer wieder auf dem Rücken der Sexarbeiterinnen. Die Geschichte der Prostitution zeige, dass "wo immer die Politik sexuelle Tauschgeschäfte unterband oder restriktiv reglementierte, (...) sie die Frauen, die sie vorgab zu schützen, größeren Gefahren ausgesetzt" hatte.

Auch Klischees über Freier werden von Domentat abgeklopft, so etwa dass diese nur an Herrschaft über Frauen interessiert seien. Radikalfeministinnen wie Alice Schwarzer schlüpfen in ihrer Phantasie in die Psyche von Freiern und erkennen diese vermeintlich als Männer in dem Machtrausch, über Frauen nach Belieben verfügen zu können. Ein anderes Vorurteil behauptet, Freier wollten nur schnelle Befriedigung und trennten dabei zwischen Körper und Gefühlen. Die von Domentat zitierte Prostitutionsforscherin Sabine Grenz widerspricht diesem Bild. Viele Freier wendeten sich vor allem deshalb Sexarbeiterinnen aus Osteuropa zu, da diese sich einfühlsamer und warmherziger als deutsche Frauen zeigten. Nähe und Zärtlichkeit seien diesen Männern wichtig. Zudem bevorzugten Freier bei Prostituierten "denselben Frauentyp wie in ihrer privaten Partnerwahl: die selbstbewusste, extrovertierte, niveauvolle, charmante und lebenserfahrene Frau, die gleichzeitig offen und authentisch kommuniziert. Lolita-Eigenschaften? Unemanzipierte Verhaltensweisen? Fehlanzeige." Auch die immer wieder unterstellte Spaltung männlicher Frauenbilder in Huren und Heilige konnte in Untersuchungen nicht bestätigt werden. "Die Mehrheit der Männer war ganz offensichtlich nicht auf der Suche nach einer schnellen Nummer, sondern nach einer emotional authentischen und erotisch bereichernden Erfahrung."

Anscheinend sehen viele Männer im nicht-kommerziellen Partnermarkt wenig Chancen auf eine Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Wobei das mit der Nicht-Kommerzialität auch bei der privaten Partnersuche offenbar so eine Sache ist. Domentat: "Immer mehr Männer verweigern sich Ritualen des Kennenlernens, in denen sie auf ihre Konto- und Besitzstände abgefragt werden." Dem verdeckten Tauschgeschäft Sex gegen Geld (bzw. Sex gegen Sex UND Geld) zögen sie ein offenes Aushandeln vor. Das verdeckte Tauschgeschäft funktioniert Domentat zufolge auch nur noch deshalb, weil kulturelle Mythen stärker als wissenschaftliche Fakten seien: "Die Vorstellung, dass Männer mehr Sex brauchen, suchen und genießen als Frauen, hat es Frauen ermöglicht, informelle Kontrakte um die Illusion eines Mangels, einer künstlichen Angebotsknappheit herum zu konstruieren, sei es als sexuelles Tauschgeschäft oder durch die Anbahnungsrituale von Privatbeziehungen." Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zu der Frage, ob viele Frauen nicht vor allem deshalb Prostituierte so scharf ablehnen, weil diese dieses Tauschgeschäft in unserer Gesellschaft unterlaufen oder gleich ganz zum Platzen bringen. Die Feminismuskritikerin Camilla Paglia erkennt es als eine Zurückweisung weiblicher Dominanz, wenn ein Mann für Sex bezahlt: "Das findet meinen Applaus, denn es ist ein Weg, seine Männlichkeit zu befreien." Ideal, möchte man als Leser hinzufügen, wäre allerdings eine Gesellschaft, wo Sex grundsätzlich gegen Sex getauscht wird und Männer nicht immer wieder zusätzlich einen finanziellen Bonus draufschlagen müssen, ob auf dem Partnermarkt oder im Bordell.

Domentat weist auch darauf hin, was Freier tun können, um den Fällen tatsächlicher sexueller Ausbeutung und Versklavung entgegenzuarbeiten. Sie werden die kriminellen Strukturen nicht eigenhändig zerstören können (zumal ein Mangel arbeitsrechtlicher Mindesstandards auch einen Mangel an Transparenz und Information bedeutet), aber sie können zumindest Sand ins Getriebe streuen. So nennt "Terre des Femmes" verschiedene Anzeichen, die auf eine Zwangslage hindeuten: etwa wenn die Frau einen eingeschüchterten oder unruhigen Eindruck macht, wenn sie sich 24 Stunden im Club aufhält, keinen Kontakt zu anderen Frauen hat, das Geld nicht selbst abkassiert, bestimmte Kunden oder Handlungen nicht abweisen darf und natürlich wenn sie Spuren von Misshandlungen zeige. Tatsächlich greifen Freier ja auch immer wieder ein, indem sie etwa die Polizei verständigen, den Frauen ihr Handy leihen oder sie zu Fachberatungsstellen fahren. Reinhard Winter, Geschäftsführer der Männerberatungsstelle Pfunzkerle, sieht großes Interesse bei den Freiern, was das Wohlergehen der Prostituierten angehe: "Männer können nach wie vor über ihre `Helferseiten´ erreicht werden. Der Schutz von Frauen scheint ein tragfähiges Segment des Selbstverständnisses von Männlichkeit zu sein. Außerdem scheint bei nicht wenigen Männern eine Moral oder Ethik bei Prostitutionsbesuchen im Spiel zu sein. Zwang zur Prostitution und direkte körperliche Gewalt ist für diese Männer mit ihrem Erleben (...) unvereinbar." Um diese Einstellung zu stützen, führt Domentat noch eine kleine Liste mit "Tipps für Prostitutionskunden" an, die von einer niederländischen Initiative erstellt wurde, damit der Kontakt zwischen Prostituierten und Freiern für beide Seiten möglichst angenehm verläuft. Und sie beschließt ihr Buch mit einer "Deklaration der sexuellen Menschenrechte", wie sie inzwischen auch die Weltgesundheitsorganisation WHO von der World Association for Sexology (WAS) übernommen hat: "Nach diesem Verständnis ist nicht nur die Zwangsprostitution eine Menschenrechtsverletzung, sondern auch das" - von der "Emma" bejubelte - "schwedische Sexkaufverbot, das gegen die Selbstbestimmung erwachsener und freiwillig agierender Sexarbeiterinnen und ihrer Kunden verstößt."

Tamara Domentat: "Lass dich verwöhnen Prostitution in Deutschland." Berlin: Aufbau Verlag 2003, ISBN 3-351-02550-5, 335 Seiten