Ähren im Sturm...

Interview mit der deutschen Neofolk-Band Forseti

Seit einigen Jahren nun hat sich eine Musikrichtung in Deutschland etabliert, die für sich den Namen Neo-Folk beansprucht. Forseti kann als die hierzulande beliebteste dieser Gruppen gelten und hat ihrer Mischung aus filigranen Akustmelodien und neo-romantischen deutschsprachigen Texten ein großes Publikum erobert. Martin Kreischer unterhielt sich mit dem Sänger Andreas Ritter.

Man hat das Gefühl, dass du auf dem neuen Album "Erde" weniger schüchtern wirkst, kräftiger, befreiter.

Danke! „Erde“ entstand unter wirklich großer Spielfreude. Im Vergleich zu den Vorgängern habe ich mit meinen Musikern ein wenig experimentiert, bin neue Wege gegangen, ohne meinem Anspruch an rein akustischer Musik untreu zu werden. Herausgekommen ist ein in seinen Stilmitteln vielfältiges Album. Vielleicht verliert man ja im Laufe der Jahre den jugendlichen und etwas unausgereiften Charakter oder Charme, wie er noch auf der „Jenzig“ zu hören war und wird einfach erwachsener, reifer.

Es war zu lesen, dass dieses Album mit Jenzig und Windzeit eine
Trilogie schließt. Was ist dein Resümee nach diesen drei Alben?
Was soll nun werden?

Was mit „Jenzig“ begann und mit „Windzeit“ weiterführte, wurde nun mit „Erde“ abgeschlossen. Es ist eine Trilogie, obgleich „Erde“ natürlich auch für sich stehen könnte. In „Erde“ werden viele Motive aus den vergangenen beiden Alben wieder aufgegriffen und weitergeführt: die Dunkelheit, der Schmerz, aber auch die Hoffnung nach Leben - nach einem Blick in die Sterne. Ich spüre nach diesen drei Alben ein Gefühl der Zufriedenheit. Ich habe mich ausgedrückt, habe etwas gesagt, habe für mich etwas vollbracht. Das ist mein Resümee. Und was soll nun werden? Vielleicht ist für mich vorläufig die Zeit der Naturlyrik vorüber, vielleicht sollte ich mehr Geschichten erzählen oder alte Klassiker vertonen. Vielleicht sollte ich aber auch so weitermachen wie bisher. In jedem Falle bleibe ich nicht untätig, bin ewig ruhelos.

"Eismahd" wurde von Sonne Hagal geschrieben, wie kam es zu der Kooperation und was war der Anlass für dich, dieses Lied noch einmal zu vertonen?

Mit Sonne Hagal verbindet mich seit einiger Zeit ein tiefes freundschaftliches Verhältnis. Wir hatten in den letzten Jahren mehrere gemeinsame Konzerte und Oliver gehört mittlerweile zur festen Besetzung von Forseti. Ich selbst spiele bei Sonne Hagal auf Konzerten oder Aufnahmen ein wenig Akkordeon oder Melodica. Es ist eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit und sie reicht auch noch weit in andere musikalische Projekte, wie zum Beispiel Fire + Ice oder :Of The Wand And The Moon:. „Eismahd“ ist für mich eines der besten Stücke der „Helfahrt“. Es hat mir von Anfang an gefallen und wir planten schon seit längerem eine gegenseitige Adaption. Sonne Hagal vertonten von mir ein älteres Lied - „Verlorenes Land“ und ich suchte mir „Eismahd“ aus. Ich betrachte es auch als eine Art gegenseitiger Hommage an freundschaftliche und musikalische Bindungen. Wir haben für die Zukunft noch weitere „große Taten“ geplant.

Auf diesem Album sind auch Ian Read von Fire + Ice und Kim
Larsen vertreten, wie kam es zu der Zusammenarbeit? Wie war es für Kim Larsen, einen deutschen Text zu singen?

Ian Read habe ich 1999 kennengelernt, als wir zusammen mit Fire + Ice und noch anderen Bands beim WGT in Leipzig spielten. Später ergab sich dann, daß ich zusammen mit zwei weiteren Forseti-Musikern, Oliver und Thomas, als Band um Ian Read fungierte. Fire + Ice höre ich schon seit vielen Jahren. Um so aufregender war es für mich, die bereits bekannten Lieder auf Konzerten umzusetzen und dazu eine eigene Intensität, eigene Spielarten, vielleicht auch Forseti-typische Arrangements, in die Stücke zu bringen. Wir hatten mit Fire + Ice sehr schöne, intensive Konzerte z.B. beim WGT 2003 oder aber auch dieses Jahr in London. Somit ließ ich es mir nicht nehmen, Ian für das neue Forseti-Album „anzuheuern“.
Ähnlich verhält es sich auch mit Kim Larsen. Wir waren mit :Of The Wand And The Moon: bereits auf kleiner Tour, haben in Dänemark gemeinsame Konzerte bewältigt und ich habe für das kommenden Album einige Sachen in Kopenhagen mit Kim eingespielt. Ich mag die typischen, ruhigen :Of The Wand And The Moon:-Klänge und seine Stimme, einfach seine Art Musik zu machen. Diesen Zauber wollte ich ein wenig für Forseti einfangen und somit ergab sich auch das Lied „Sterne“. Da ich meine Texte nur in deutscher Sprache schreibe, oder schreiben kann, blieb ihm nichts weiter übrig, als in deutsch zu singen. Anfänglich war es für ihn wohl etwas ungewohnt - sein Deutsch aus der Schule vielleicht schon zu lange her. Aber mit dem Resultat sind wir beide zufrieden und ich bin froh über diesen Zugewinn.

Hat sich Ian Read den Text und das Lied selbst ausgesucht oder
hattest du ihn schon für dieses Stück vorgesehen?

Das Lied und den Text habe ich direkt für ihn geschrieben. Mein Ansinnen war es, daß das Stück nicht nach Fire + Ice, sondern nach Forseti klingt, aber dennoch die markante Stimme von Ian genügend zur Geltung kommt. Das Stück sollte ruhig, der Text ein wenig sanft, und trotzdem kräftig werden. Ich entschied mich über die Sinne zu schreiben, über Empfindungen und Wirkungen, über Natur und Geist und über verborgene Sinne, welche man erahnt, aber nicht wirklich fassen kann.

Uwe Nolte hat erneut zwei Texte beigesteuert ... und "Abendland" wurde ebenfalls neu intoniert.

Mein Freund Uwe - einer meiner Lieblinge. Ich bat ihn, erneut für mich ein Gedicht zu schreiben und er sagte zu. „Müder Wanderer“ ist ein ruhiges, düsteres Stück geworden.
Mit „Abendland“ habe ich mir ein schon lange gehegtes Bedürfnis, ein Stück von Orplid zu vertonen, erfüllt. Ich schätze die dichterische Arbeit von Uwe und die musikalische Umsetzung von Frank Machau sehr, sind Orplid doch eine der wenigen innovativen Bands aus dem weiträumigen Bereich des „Dark Folk“ in Deutschland. Sie selbst mögen eine Einordnung in Sparten ja nicht, gehen immer wieder andere Wege, überraschen stetig mit neuen Ideen. Deswegen ist die Adaption des „Abendlandes“ vielleicht auch eines der ungewöhnlichsten Lieder auf der „Erde“. Ein einfaches Nachspielen erschien mir zu simpel. Im „Abendland“ kommen Gesänge vor, welche ich vorher nie so eingesetzt hätte. Für den Schlußchor holte ich mir einen ukrainischen Opernsänger, welcher auch bei den Don Kosaken singt. Die Meinungen zum „Abendland“ sind recht unterschiedlich, also hat es eine Wirkung erzeugt, und so sollte es auch sein.

Könnte man sagen, dass Jenzig eine sommerliche Stimmung, Windzeit eine herbstliche und Erde eine winterliche einfängt?

Ich denke eher nicht, jedenfalls nicht was die „Erde“ betrifft. „Erde“ beschäftigt sich viel mit Mythologie, Naturspiritualität und einer tiefen Verbundenheit zum Leben. Sicher läßt sich das auf alle Jahreszeiten beziehen, aber mir scheint es eher noch ein sommerliches Album zu sein. „Jenzig“ steht in gewisser Weise mit dem Frühling in Verbindung, mit der Zeit der Jugend, aber auch mit tiefen Empfindungen für heimatliche Gefilde, in örtlicher, mythologischer und emotionaler Herangehensweise. Die „Windzeit“ ist natürlich ein sehr herbstliches Album, eine Hommage an die stürmische und dunkle Jahreszeit, aber auch eine Hommage an das Alter, an die Reife und sicher auch ein wenig an den Tod. Es geht in allen drei Alben um Vergehen und Neuentstehen, um Dunkelheit und Licht, um den ewigen Kreislauf.

Diesmal greifst du auch auf einen Text von Tieck zurück, ein Autor, der unter anderem prägend für den Begriff der "romantischen Ironie" war. Würdest Du sagen, dass man einen Teil dieser auch bei Forseti finden kann? Wird auch bei Forseti nicht etwas Hohes angestrebt, was jedoch nicht ausgedrückt werden kann, wie ein romantisches Ideal?

Strebt nicht ein jeder von uns in gewisser Weise nach etwas Höherem, nach einer Art von Selbstverwirklichung? Eine Suche und ein „Sehnen nach der Ferne, nach unbekannten Weiten“. Man befindet sich ständig auf dieser Suche, wird das Ziel wahrscheinlich nie erreichen, aber die Suche ist das eigentliche Unterfangen, das Wesentliche, das Ziel. Somit mache ich mir sicher einige romantische Motive zu eigen: Die Verbindung von Natur und Geist, Naturmystik im allgemeinen oder auch die Rückbesinnung an heidnische Kulte und Sagen, an die Volksdichtung usw. Allerdings bin ich mir durchaus bewußt, in welcher Zeit ich lebe. Ich träume nicht übertrieben von vergangenen Tagen, von größeren Zeiten, sondern blicke natürlich ebenso nach vorne.
Interessant jedoch der Aspekt, Forseti mit der „romantischen Ironie“ in Verbindung zu bringen. Sicher kann man in den Texten fündig werden, wenn man nur will. Es sind einige Interpretationsspielräume vorhanden, aber es ist auch nur eine Möglichkeit, eine Herangehensweise von vielen. Die „romantische Ironie“ finde ich aber eher in z.B. Tiecks „gestiefeltem Kater“ oder in Erzählungen von E.T.A. Hoffmann, welcher ja diesem Begriff in der Spätromantik die Krone aufsetzte, als in den Texten von Forseti.

Auch ist der Tieck-Text wieder ein direkter Bezug auf die Romantik, wie wichtig war es dir noch einmal diesen Brückenschlag herauszustellen?

Die „Erde“ wie auch meine früheren Arbeiten sind ein direkter Bezug zur Romantik, aber auch ein direkter Bezug zu Jena, meiner Heimat. Schließlich hatte die Frühromantik unter anderem durch Tieck ihren Ursprung in Jena.
Ein Text auf der „Erde“ stammt von Ricarda Huch, welche ich sehr schätze und welche auch mit Jena in Verbindung steht. Der Romantikbezug ist also nicht so direkt, wie er im ersten Augenblick scheint. Es bleibt genügend Spielraum für andere Interpretationsmöglichkeiten, und diese Tatsache gefällt mir.
Aber wie bereits erwähnt, hat die Romantik einen nicht unwesentlichen Einfluß auf mein Wesen und meine musikalische und textliche Arbeit. Die letzten beiden Alben waren auch durch Texte von Tieck oder Uhland geprägt, also doch eine heimliche Liebe…

Hast du das Gefühl, dass sich die Aufmerksamkeit und auch die
Aufregung um den NeoFolk ein wenig gelegt hat?

Die Aufmerksamkeit von Seiten der Hörerschaft hat sich hoffentlich nicht gelegt! Die Aufregung hat zwar ein wenig abgenommen, aber die verbissensten Kritiker werden sicher nie schweigen, obwohl sie sich in letzter Zeit wirklich zurückhalten. Bleibt zu hoffen, daß sich Kritik und Aufregung auf einer akzeptablen und ehrlichen Ebene bewegen, daß nicht, wie so oft in der Vergangenheit, aus Unkenntnis und Intoleranz heraus beschuldigt und diffamiert wird. Diese Zeiten sind hoffentlich längst vorbei.

Martin Kreischer