24/7 - The Passion of Life

D 2005. - Regie: Roland Reber.

Sadomasochismus begleitet das Medium Film von den frühen Stummfilmtagen an, sei es in den gelegentlich erstaunlich rauhen frühen Pornoclips oder in den psychosexuellen Konstruktionen von Josef von Sternberg oder G.W. Pabst. Im Rahmen des sogenannten 'Triebfilms' der 20er Jahre tauchten Sadomasochismen ebenso auf wie bei den französischen und spanischen Surrealisten, die den namensgebenden Marquis de Sade als einen Philosophen der Freiheit verehrten.

Vor allem Luis Bunuel griff auf sadomasochistische Motive noch in seinen späten Klassikern BELLE DE JOUR (1968) und DAS GESPENST DER FREIHEIT (1970) zurück. In diesen satirischen Dramen allerdings verband er damit auch die Doppelgesichtigkeit des Bürgertums und stellte diese bloß. Eine spezielle Rolle kommt dabei der Domina zu, die als Projektionsfläche und Wunschphantasie des sexuell repressiven Bürgers dient. Peter Fleischmann schloss mit DOROTHEAS RACHE (1971) an dieses Konzept an: Sadomasochismus als Form der Prostitution. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Phänomen suchte Barbet Schroeder - offenbar selbst masochistisch veranlagt - mit seinem Psychodrama MAITRESSE (1975), in dem die Herrin ihre Sklaven in einem umgebauten Mietshaus erwartet. In beiden Filmen spielten tatsächliche Masochisten die Sklaven.

Eine stilisierte Version bot dann Just Jaeckins etwas verharmloste Literaturverfilmung DIE GESCHICHTE DER O (1975). S&M erschien hier als eine Zeitgeistvariante der ausklingenden sexuellen Revolution der sechziger Jahre, als deren zynische 'Kehrseite' sie oft betrachtet wurde. Tatsächlich verstand der radikale Feminismus der 1980er Jahre (Andrea Dworkin) schließlich Sadomasochismus als eine Form des "Sexualfaschismus'", der hemmungslos patriarchale Strukturen entweder direkt oder indirekt affirmiere. Lediglich Monika Treut und Elfie Miekesch setzten ihre betont theatrale, intellektuelle Sacher-Masoch-Variante VERFÜHRUNG. DIE GRAUSAME FRAU (1984) dagegen.

Im Rahmen des stylishen 1980er Jahrekinos gerieten S&M-Szenarien zusehends zum modischen Beiwerk. Antibürgerliche Kritik, Blasphemie oder Individual-Revolte waren daraus gewichen. Die Verbindung von Prostitution und Sadomasochismus tauchte v.a. in dem japanischen Drama TOKIO DEKADENZ (1992) als Metapher für die absolute Verlorenheit des urbanen Individuums auf. Lange hatte es sich kein Film zur Aufgabe gemacht, die fragile Psyche des Leidend-Liebenden zu ergründen...

24/7 - THE PASSION OF LIFE (2005) von Roland Reber betont bereits im Titel, dass es ihm ernst sei mit seiner Beschäftigung: 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche - die 'Leidenschaft des Lebens' dominiert auch selbiges für die geneigten Protagonisten, seien sie nun willige Sklaven oder gestrenge HerrscherInnen. Da eine solche Welt gelebter Dialektik von Herr und Knecht selbstredend befremdlich auf die Außenwelt erscheinen muss, wählt der Film dramaturgisch eine Außensicht: Zusammen mit der weitgehend unerfahrenen Hotelierstochter Eva (Marina Anna Eich), einer unzufriedenen Frau Mitte zwanzig, betreten wir die bizarre Welt der intellektuellen Domina Lady Maria (Mira Gittner), die nebenbei eine religions-soziologische Arbeit verfasst.

Wir haben es also mit einem stationenorientierten Entwicklungsdrama zu tun, einer Identitätssuche und zugleich Initiation in die 'Wahrheit des Sexus'. Von Ferne grüßen hier Georges Batailles Transgressionsphilosophie und Michael Foucaults "Wille zum Wissen", doch eben nur von Ferne. Was sich vor uns abspielt, uns lange Blicke in Dominastudio und Swingerclub gewährt, verhandelt auf der Dialogebene durchaus plakativ die genannte Thematik, lässt sie in Tischgesprächen rezitieren, aber sucht nur selten nach Bildern für die offenbare Leere zwischen Liebe, Schmerz und Lust. Wenn wir dichtere Bilder geboiten bekommen, so lediglich in christianoiden Rollenspielen, den Passionswegs zum sexuellen Marytrium stilisieren. So mag auch Gibsons PASSION OF CHRIST für den Gläubigen funktioniert haben...

24/7 ist zweifellos gut gemeint in seinem Anliegen, einen intimen und verständnisfördernden Einblick in die Welt des käuflichen Lust-Schmerzes zu gewähren, doch angesichts seines fast naiven, erstaunlich kunstfreien Zugangs bestätigt der Film eher die Befürchtungen und Klischees, als dass er ihnen Tiefe verleiht. Seine Figuren erscheinen pathetisch und mitunter lächerlich in ihrer Selbsrechtfertigung, die Exkurse von Lady Maria thesenhaft dahergesagt und erzwungen. Der Komplex Religion, Todessehnsucht und schuldhafte Sexualität beschwört die bedenklichsten katholizistischen Mechansimen - und so bezeugen die Szenen auch weniger eine sexuelle Befreiung als eine sexualisierte Zwangshandlung angesichts internalisierter Schuldgefühle. Während die düster-rituelle Titelmusik noch atmosphärisch funktioniert, erschöpfen sich die als kommentierende Kadenz eingesetzten Lieder in unangenehmer Deutlichkeit: um Einamkeit soll es gehen, das ist klar. Und es suggeriert ganz nebenbei, der Sadomasochist sei per se einsam...

Visuell arbeitet der Film mit den Mitteln des digital produzierten Fernsehspiels: Highkey-Ausleuchtung, sterile Atmosphäre, unoriginelle Dekors, Leere allenthalben. Auch der Ton bleibt trocken und kalt im Raum stehen, wenn nicht die Musik dominiert. Die Hotelszenen rufen erst recht Erinnerungen an deutsche Primetime-Serien wach, und es steht zu befürchten, dass dies nicht ironisch gemeint ist. Nun könnte man sagen, dies alles entspreche doch letztlich den Thema, um das es geht: dem Doppelleben repressiver Spießbürger im katholischen Freistaat Bayern. Doch zugleich kann man an 24/7 auch sehen, wie wenig sich dieser 'reale Sadomasochismus' eignet als Sujet für einen künstlerisch motivierten Spielfilm, der den Kolportage- und Trivialfallen entkommen möchte. Hier denke man zurück an Treuts VERFÜHRUNG, einen zweifellos avancierteren Film, der in seiner ausgestellt Ritualisierung zugleich wahrhaftiger auf sein Thema zugeht. 24/7 dagegen verlegt die Metaphorik ganz in die Binnenerzählung vom sündigenden Ketzer, der den Leidensweg Jesu nacherleben möchte und gibt dabei sich und seine Figuren der Lächerlichkeit preis.

Eine kleine Szene von 24/7 bleibt dennoch in Erinnerung: Wenn nämlich der Putzsklave 'Elfriede' Reinhard Wendt von einem schrecklichen Erlebnis aus seiner Vergangenheit in einem russischen Gefangenenlager berichtet. Hier erreicht 24/7 eine Intensität, die keine der anderen Szenen bieten kann. Es ist ein ruhiger, kontemplativer Moment, unspektakulär inszeniert, aber rückhaltlos gespielt. Hier wird die Bedeutungslosigkeit des freiwilligen, sexualisierten Schmerzes mehr als deutlich. Was die vordergründigen sexualpolitischen Traktate von Lady Maria nicht erreichen, vollbringt der kurze Verweis, in die erlebte Geschichte, der zeigt, wie fern sich Schmerz und Schmerz sein können. - Was bleibt, ist ein Versuch, ein gescheitertes Experiment, über dessen Aufrichtigkeit einige Fragezeichen schweben.

Für einen Betrachter, der mit S&M-Praktiken nicht vertraut ist, könnte 24/7 dennoch einige interessante Beobachtungen bieten, wer jedoch nach einer künstlerisch-visionären Auseinandersetzung sucht, muss weiter warten. Mit konventioneller Digitalvideo-Ästhetik kann die S&M-Szene allenfalls in in ihrer bürgerlichen Mittelmäßigkeit porträtiert werden - was der 'Wahrheit' letztlich nahekommen mag, aber eben keinen kinematographisch-visionären Blick garantiert.

Marcus Stiglegger