Der Blutharsch

When did wonderland end?

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(WKN/Tesco 2005) CD&DVD/LP 10 Tracks

Viel wurde im Vorfeld über die neue CD der Military-Popper aus Wien spekuliert: Grundlegend anders würde diese CD werden, wurde gemunkelt, denn Der Blutharsch wäre nun eine komplette Band in Rock-Besetzung mit Bass, Gitarre, Schlagzeug usw. Tatsächlich hat sich der Kern der Band um einige Personen erweitert - ein Tendenz, die bereits zuvor abzulesen war: Bain Wolfkind gehört nun um festen Inventar und auch Jörg B. von der Folkband Graumadh macht mit. Als Gäste haben sich hier u.a. der Violinenvirtuose Matt Howden sowie der in Wien bekannte Punkmusiker Didi Bruckmayer eingefunden. Dennoch fügt sich "When did wonderland end?" in die Entwicklungslinie der letzten Jahre mühelos ein: Die Zusammenstellung unterschiedlicher Stile und Stimmen mutet etwas wie eine Compilation an, Themen und Motive tauchen auf und verschwinden, es bleibt ein zweifellos originelles aber chaotisches Nachbild...

Das Intro besteht aus einer Spieluhrvariante von "Lili Marleen" - ein Verweis auf die erste CD das Band. Track zwei legt dann bereits mit dem tpischen stampfenden, getragenen Beat los und zieht effektiven Nutzen aus Matt Howdens mäandernder Violinenspur. Der Text wiederum "We who are not like the others, we are not like you" setzt die Selbstreflexion der Band vom letzten Album "Time is Thee Enemy" fort. Nun ja, das mag sein, schürft aber nicht wirklich in ungeahnten Tiefen. Die prägnanteste Stimme der letzten Platte war zweifellos Bain Wolfkind, der seinen düster-misanthropen Machogestus nun hier glimmen lässt: Track3 bietet pulsierenden, gitarrenorientierten Gothicrock. In der Tat betritt man hier Neuland und wird definitiv ein größeres Publikum ansprechen. Das entwickelt durchaus poppige Eingängigkeit. Der Streicherpart hier erinnert gar an The Cure aus der "Disintegration"-Phase. Diesen Song wird man möglicherweise in einigen genre-Clubs noch hören...

Obwohl auch bei Track 4 Bass und Streicher dominieren, schließt dieser Sound wieder deutlicher an früheren BH-Alben an. Schicksalsschwere Harmonien, etwas schräg überlagert von Albin Julius' gedehntem Gesang. Der Fan wird daran gewöhnt sein und die harmonische Schieflage zum Markenzeichen erklären. Es folgt eine Ballade, sonor und melanholisch von Wolfkind vorgetragen. Hier wird ebenfalls eine von BH gewohnte Schwäche deutlich: Der indifferente, matschige Klangbrei, in dem die Nuancen stets unterzugehen drohen. Erstaulicherweise funktioniert das auf der LP erheblich besser. Ausgerechnet dieses kurze (1:30 Min.) Stück ist der Titelsong. Danach wird es wieder hittauglich: Mit der Originaltonspur als Basis liefert man hier ein Remake des Death in June-Stückes "Frost Flowers", gesungen allerdings von einer Frau, was den flotten Ohrwurmcharakter des Liedes noch betont.

Track 7 "Speak no more of Love and Death..." erscheint wie Track 4 sehr typisch: Mit gemeinsamem Gesang und getragenem Rhythmus erscheint dieser Stil jedoch weniger als Military-Pop, denn als Old-School-Gothicrock aus der Virgin-Prunes-Schule, komplett mit jaulendem Gitarrensolo.

Das Highlight des Albums ist (und soll sein) Bain Wolfkinds etwas drastisch grummeliges "Iron Rain", zu dem auch ein eindrucksvolles Video (auf einer Bonus-DVD) in Stil von Anton Corbijn vorliegt. Lied und Video erzählen von Todessucht der Existenz: "We are born under a Dark Star"... Sehr überzeugend, eine der schwarzen Hymnen des ausgehenden Jahres 2005.

Track 9 verweist auf eine frühe 7" des WKN-Labels zurück: "Wo die wilden Kerle wohnen". "Wir kommen aus dem finsteren Wald, wo die Zeit still steht, wo alles seinen Zweck hat" singt Didi Bruckmayer. Ein Lied, das wie die bierseelige Version von Ernst Jüngers "Der Waldgang" wirkt. "Der Wald ist gut..." Offenbar hinterlässt der Perchtenkult einschlägiger anderer Bands seine Spuren. Nunja. Lustig eben. "Wir verachten die Gegenwart..."

Eine Überraschung wartet mit dem ganz der weiblichen Gesangskunst verschriebenen Track 10: Es beginnt wie ein Stück von Albins früherer Band The Moon Lay Hidden Beneath a Cloud und entwickelt sich dann Richtung Diamanda Galas. Packend und überzeugend.

Ein finaler Up-Tempo-Song mit elektronischen Fiepsern, Samples und rauhem Gesang erinnert noch einmal daran, wessen Album wir hier eigentlich hören...

Ein mediterranes Orchestergedudel rahmt die CD. Doch nach einer kurzen Pause folgt noch ein italienischer Schlager (Original von Adriano Celentano), den man sich hätte sparen können. Er erinnert an einige stilistische Ausfälle von O Paradies oder Novy Swet. Hoffentlich muss man künftig nicht allzuviel mehr aus dieser Richtung vernehmen - man kann den Alkoholatem förmlich riechen. - Aber vor allem die Perchten können künftig zu Hause bleiben. Im finsteren Alpenwald...

Übrigens: Das militant-grimmige Cover täuscht und stellt wohl eine Falle für jene dar, die in BH von jeher eine 'politische Bedrohung' sehen. Deutlicher als mit diesem Album kann man sich kaum von den einst 'suspekten' Military-Wurzel entfernen. Es bleibt ein verspielter, manchmal zynischer Anarchogestus.

Fazit: Wie stets ein durchwachsenes Vergnügen, voller Imperfektion und großartigen Einfällen, auf der Grenze zwischen Genie und postmoderner Müllhalde. Es fällt schwer, "When did wonderland end?" zu übersehen - oder zu vergessen, wenn man das Album einmal gehört hat.

Maria Nicoli