Gardenia – Eine Frau will vergessen

3,5 / 5 Sterne

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Originaltitel: The Blue Gardenia
Label: Arthaus
Genre: Thriller
Produktionsland: USA, Produktionsjahr: 1952-53
FSK: ab 16
Laufzeit: ca. 85 min.
Stab
Regie: Fritz Lang
Drehbuch: Charles Hoffman, nach einer Geschichte von Vera Caspary
Kamera: Nicholas Musuraca
Produktion: Alex Gottlieb
Technische Angaben
DVD Bild: 4:3
DVD Sprachen/ Ton: Deutsch (Mono Dolby Digital), Englisch (Mono Dolby Digital)
Untertitel: Deutsch
DVD Extras: Biografie Fritz Lang (Texttafeln), Trailersammlung
Ländercode: 2

Blue Gardenia, now I’m alone with you… Ganz sanft sickern die Klänge von Nat King Coles Schnulze hinein ins samtige Dämmerlicht des Appartments, wo ein Mann und eine Frau sich vor einem ausladend weiten Wohnzimmerspiegel gerade in die Arme schließen. Am nächsten Morgen dann ist der Spiegel zerbrochen, der Mann erschlagen und die Frau, die sich an nichts mehr erinnern kann, bereits auf der Flucht vor der Justiz. Um dieses Blackout herum ist The Blue Gardenia (1953) gewoben, Fritz Langs galliges, bis heute unterschätztes Spätwerk aus Hollywoods Schwarzer Serie, das sich nun auf DVD neu entdecken lässt.

Nur eine kleine Angestellte ist Norah Larkin (Anne Baxter), die als Telefonistin bei der West-Coast Telephone Company arbeitet, mitten im Los Angeles der frühen 1950er Jahre. Schlank und blond und auch ein wenig naiv, fällt sie eines Tages auf einen Cartoonist und Akt-Zeichner herein, der sie, eigentlich nur aus Versehen, zu einem Rendezvous beschwatzt. Dass er ursprünglich eine andere Blonde hatte verführen wollen und sich bloß in der Telefonnummer geirrt hatte, ist spätestens nach dem vierten Drink im Nachtclub Blue Gardenia aber auch egal. Als er die Betrunkene dann aber wenig später auf sein Appartement lockt und vergewaltigen will, spielt die junge Frau nicht mehr mit, schlägt um sich und torkelt aus der Wohnung. Am Tag danach erfährt sie, dass der Mann ermordet worden und die Fahndung nach einer blonden Telefonistin bereits eingeleitet ist…

Allzu viel hatte die zeitgenössische Kritik nicht übrig gehabt für The Blue Gardenia, obgleich der Film all die Motive auszustreuen schien, die Fritz Lang immer wieder mit beißendem Zynismus durchgespielt hatte in den Jahren des Exils. Da waren die mit Leerstellen durchsetzten, hypnotischen Strudel der Gewalt, die immer wieder um die Verbrechen einer von innen heraus zerberstenden Gesellschaft kreisten; dazu eine mit Blindheit geschlagene Justiz, die mit achselzuckender Gleichgültigkeit Schuldige wie Unschuldige auf ihre Waagschalen lud und ihr zur Seite nicht zuletzt eine vor Sensationsgier geifernde Presse, die für eine gute Schlagzeile längst alle Skrupel über Bord geworfen hatte. Und doch wirkte der Film stets weit weniger originell, auch weniger straff und konsequent inszeniert als etwa der beinahe zeitgleich realisierte The Big Heat (Heißes Eisen, 1953), der schnell zu einem Klassiker des Film Noir avancierte.
Aber was auffällt, gerade aus der zeitlichen Distanz, ist doch, wie sehr Lang hier gegen die Standards und gegen die Dramaturgie inszeniert, die er sonst wie selbstverständlich zu bedienen bereit war. So heftet sich Blue Gardenia schon von Anfang an gar nicht erst an nur eine Figur – und eine Sicht auf seine Geschichte – sondern lässt das Material porös werden, sich in unterschiedliche Richtungen und verschiedene Inszenierungsstile zerfasern und zu gleichen Teilen von all dem erzählen, was um diesen Mord herum geschieht: von der Flüchtenden, die selbst nicht weiß, was da eigentlich geschehen ist; von den Ermittlern, die nur mäßig interessiert an den Fall herangehen; von den Reportern, die die Verdächtige auf eigene Faust fassen wollen. Und davon, dass da plötzlich statt Nat King Coles Blue Gardenia eine Schallplatte mit Richard Wagners Liebestod am Tatort liegt.

Wie sich solche Details umgehend aneinanderketten, die Ermittlungen ins Stocken geraten und dann den Kurs wechseln lassen, wie sich neue Spuren und andere Verdächtige einflechten lassen und wie sehr bei all dem der Zufall seine Finger im Spiel hat, darum scheint es aus heutiger Sicht in Blue Gardenia sehr viel eher zu gehen, als um einen bloßen Mord und seine Auflösung. So antizipiert Lang hier bereits, lange bevor dies zur Konvention im amerikanischen Kino wurde, in Grundzügen ein episodisches, weitschweifiges Erzählmodell, dass zwar ununterbrochene Begegnungen, Spiegelungen, Überschneidungen zwischen einzelnen Figuren kennt, in dem aber niemand mehr zur Hauptfigur oder gar zum Helden taugt. Und es fasziniert, den Film unter diesem Aspekt neu zu sehen.

Fazit: Eine Wiederentdeckung wäre The Blue Gardenia also in jedem Fall wert, wenngleich die bei Arthaus/ Kinowelt erschienene DVD dazu kaum beitragen dürfte. Denn gemessen am Alter des Ausgangsmaterials sind Bild- und Tontransfer der Veröffentlichung zwar durchaus gelungen. Dass als Ausgangsmaterial allerdings keine amerikanische Kopie, sondern bloß die deutsche Verleihfassung (mit ihrem schicksalsschweren Titel Gardenia – Eine Frau will vergessen) diente, ist dagegen genauso enttäuschend wie das spärliche Bonusmaterial, dass sich auf einige Texttafeln mit biografischen Angaben zu Fritz Lang beschränkt.

Sebastian Lauritz (18.10.2008)