Rebecca & Samuel Umland

Donald Cammell
A Life on the Wild Side

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FAB Press, Surrey 2006.

Sein Regiedebüt gemeinsam mit dem Briten Nicolas Roeg gilt einer der bedeutendsten Filme der späten 1960er Jahre, doch bis heute ist sein Name nur eingeweihten ein Begriff. keiner seiner späteren Filme kam in der vom Regisseur gewünschten Fassung in die Kinos, keinem war größere Aufmerksamkeit beschieden. Doch bei näherer Betrachtung ist es kaum bestreitbar: Mit Donald Cammell schied Mitte der 90er Jahre einer der großen Visionäre freiwillig aus dem Leben. Ein neues, umfassendes Buch von Rebecca und Samuel Umland widmet sich in allen Details diesem vergesenen Icarus des Genrekinos...

Performance (1968/1971), Donald Cammells Regiedebüt gemeinsam mit Nicolas Roeg, ist auf den ersten Blick ein nahezu klassisches Drama mit dem Gestus der Moderne: Angelehnt an die kritischen Klassendramen Harold Pinters und den pseudoreligiösen Starkult der zeitgenössischen Popkultur, erzählt der Film in radikal verschachtelter Montage von der Auflösung der Identität eines egomanischen, latent homosexuellen Gangsters, der in der Begegnung mit dem 'luciferischen‘ Popmusiker Turner und seinen beiden Gespielinnen eine Transformation durchlebt. Schon Turners Freundin Pherber (Anita Pallenberg) verspricht ihm in einer bizarren Liebesszene, in der die Geschlechtergrenzen vielfach aufgehoben werden: „I will show you the Lightgod!“ Der Popmusiker Turner (Mick Jagger), der 'Wandler‘, steht hier für das erleuchtende ('Licht bringende‘) luciferische Prinzip, das sich als amoralische Verführung dem rational-taktierenden Chas 'Spieler‘ (analog zu chess, 'Schach‘) entgegenstellt und zur permanenten Herausforderung wird. Im Sinne der Gesellschaft, deren pervertiertes Extrem der Gangster darstellt, ist paradoxerweise der libertine Popmusiker eine 'Verführung zum Bösen‘, da er als trotziger, antimoderner Widergänger charakterisiert wird. Zugleich findet Chas in Turner seine Entsprechung, was sich in einer Überblendung der beiden Gesichter ausdrückt, die ähnlich auch in Ingmar Bergmans Doppelgängerinnen- bzw. Maskendrama Persona (1964) vorkommt. Die brutalisierte Ratio und das libertine Visionäre sind nur zwei Seiten einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft, die nach den Filmen Roegs nur eine Chance in der Verschmelzung, in der gegenseitigen Durchdringung finden kann. So gestaltet er das Verhältnis zwischen Turner und Chas als ein reversibles Tauschverhältnis – zumindest bis zu jenem Punkt, an dem Chas mittels brachialer Gewalt ausbricht.

Jean Baudrillard entwirft in seinem theoretischen Hauptwerk L’échange symbolique et la mort (1976) das Modell einer Ökonomie, die auf der reversiblen Gabe basiert: „Die Umkehrbarkeit (Reversibilität) der Gabe durch die Gegengabe, die Umkehrbarkeit des Tausches durch das Opfer, die Umkehrbarkeit der Zeit durch den Zyklus, die Umkehrbarkeit der Produktion durch die Destruktion, die Umkehrbarkeit jedes sprachlichen Ausdrucks und Werts durch das Anagramm: eine einzige große Form, die gleiche in allen Bereichen, die der Umkehrbarkeit, der zyklischen Umkehrung, der Annullierung, der der Macht. Überall nimmt sie für uns die Form der Vernichtung und des Todes an. Es ist die Form des symbolischen Selbst.“ Das Verhältnis zwischen den beiden sich annähernden, letztlich so gegensätzlichen Widersachern basiert also in erster Instanz auf einer theoretisch reversiblen Gabe. Der Gangster dringt in das Universum des Künstlers ein, wird teilweise gegen seinen Willen verführt und assimiliert, bis er die Chance zur Gegengabe bekommt: Turner möchte in Chas‘ Kopf eindringen, möchte teilhaben an diesem letzten, immer reizvollen Mysterium, der menschlichen Seele. Doch Chas widersetzt sich in einem Akt der Anti-Ökonomie diesem Akt der Gegengabe und dringt statt dessen in Turners Kopf vor: mit einer Pistolenkugel. Diese finale Hinrichtung setzt der Film auf ebenso drastische wie plausible Weise um. Die Kamera scheint durch den Schusskanal zu fliegen, direkt in das zentrale Nervensystem, durchquert fleischliche Substanz, um mit einem Montagetrick mittels einer Kreisblende auf Chas‘ Weg zum Wagen der Gangster zu enden. In einer letzten Einstellung zeigt uns Roeg statt Chas Turner im Wagen sitzend und bringt den Absorbtionsprozess zu einem ebenso konsequenten wie schlüssigen Ende. Der Tausch hat sich im Akt der Vernichtung selbst vollendet, Turner ist zum symbolischen Selbst des Gangsters geworden.

Mittlerweile ist bekannt und hinreichend dokumentiert, dass der Filmemacher Donald Cammell selbst in einem eigenartigen negativen Doppelgängerverhältnis zu Nicolas Roeg steht. Cammell selbst kommt aus der Malerei und entschied sich erst Ende der sechziger Jahre – als er selbst bereits Ende dreißig war – für die Arbeit im Filmgeschäft. Seine Familie war eng mit dem Okkultisten Aleister Crowley befreundet , dessen Einfluss seinerseits in dem Filmen Roegs – speziell in The Man Who Fell to Earth – nachweisbar ist und eine aufschlussreiche Double-Funktion von Moderne und Magie verdeutlicht. In seiner Interpretation von Performance betont Colin MacCabe diesen dialektischen Zusammenhang, der meist übersehen oder ignoriert wird: „What is clear is that magic is the hidden underside of modernism. We have to go back to Yeats to find a moment when magic and the cultural transformation of society are clearly articulated together but this link is one of the dominant notes of the twentieth century. It is significant that the key literary references for the film: Bataille and Artaud and Borges and Burroughs combine, in different forms, a fascination with the esoteric. Indeed one of the tasks that Performance urges on us the vierwer is a re-reading of the history of the modernism of the 20s in which the link between politics and culture would be reconsidered [...]. Magic would be a key term of this reconsideration. [...] It is [...] clear that magic combines a fundamental desire to bring knowledge and being into direct correlation together with a fundamental fear that knowledge will be contaminated by the social. Performance might be thought to balance on this knife edge: a genuine act of magic.” Gerade in diesem Kontext ist es denkbar, dass der 'spirituelle Sucher‘ Cammell weltanschaulichen Einfluss auf Roeg ausübte, den Roeg selbst in den siebziger Jahren unabhängig kultivierte. So stand er erst dann in Kontakt mit William S. Burroughs.

Während seines Parisaufenthaltes in den sechziger Jahren wirkte Cammell aktiv an der Nouvelle vague Frankreichs mit (etwa in La Collectionneuse / Die Sammlerin, 1966, von Eric Rohmer). Im „swinginging London“ war er an der Produktion zweier Filme beteiligt, The Touchables (1968) und Duffy (1969), in dem bereits James Fox eine Hauptrolle spielte. Performance hatte er als „swansong for the era of Swining London“ geplant, und zugleich als Reflexion seines engen Verhältnisses zu dem Rockstar Mick Jagger , dessen Spielfilmdebüt dieser Film sein sollte. Die Figur des Turner kann als Fusion der charismatischen 'Performer‘ und Bohèmiens Cammell und Jagger betrachtet werden, während Chas die Verbindung der Londoner Kunstwelt mit der Szene des organisierten Verbrechens darstellt, wie sie etwa die Kray-Brüder im realen London vertraten. Performance-Produzent David Litvinoff wird als die umittelbare Verbindung zwischen den Leuten aus Chelsea und den Krays gesehen: „[...] in Britain, the underworld was typified by the Krays. The Krays were very macho, very dangerous and rather glamorous. This I saw as sort of a parallel with the rock world and, particularly, The Rolling Stones. Originally, my script was called The Performers because each of the characters is a performer, in one sense or another.” Obwohl gegenwärtig Nicolas Roeg der primäre (späte) Ruhm von Performance zugesprochen wird, muss diese Arbeit wohl während der Dreharbeiten als kongeniale Fusion verlaufen sein: Roeg richtete Licht und Kamera ein, während sich Cammell ganz der Schauspielführung widmete. Fotos der Dreharbeiten dokumentieren dieses Verhältnis. Roeg bekam den Regie-Credit lediglich zugesprochen, weil er ab 1970 nicht mehr ausschließlich als Kameramann tätig sein wollte und sonst ausgestiegen wäre. In die Montage und Nachbearbeitung war Roeg schließlich überhaupt nicht mehr involviert, er war sogar entsetzt über das Ergebnis: „He wanted his name removed, beause he felt that too many liberties had been taken with the continuity.“ Die Montagetechnik von Performance arbeitet zugleich mit den Flashcut-Effekten des Popart- und New Hollywood-Kinos (siehe etwa Dennis Hoppers Friedhofssequenz aus Easy Rider, 1967) sowie der nichtlinearen Erzählweise von Alain Resnais. Nicolas Roeg, der jener Fragmentierung zunächst ablehnend gegenüberstand, adaptierte Elemente aus dieser Montagetechnik bereits für sein eigentliches Regiedebüt Walkabout (1970). Cammell dazu: „However, that technique is nowadays referred to as 'Nicolas Roeg‘.“ In den folgenden Jahren fiel es Cammell zunehmend schwerer, Geld für seine ambitionierten Filmprojekte aufzutreiben, während Roeg zunehmend weltweite Erfolge feierte. Cammell drehte den eher konventionellen Demon Seed (Des Teufels Saat, 1977) mit Julie Christie und konnte erst mit den verschachtelten Psychohrillern White of the Eye (Das Auge des Killers, 1987) und Wild Side (1995 / Director’s Cut: 2000) an das verstörende künstlerische Potential von Performance anschließen. In einer kreativen Krise nahm er sich 1996 selbst das Leben. Seine fast unbemerkt im Schatten des ehemaligen Regiekollegen versandende Karriere lässt ihn selbst als 'dark double‘ Nicolas Roegs erscheinen. Wurde die komplexe Fragmentierung von Bild und Ton letztlich zum Markenzeichen und Erfolgsgarant des einen, geriet dieser Stil zugleich zum Hindernis des anderen.

"A Life on the Wild Side" kann problemlos als das absolute Referenzwerk zum Leben und Schaffen von Donald Cammell betrachtet werden. Bereits auf dem Titelbild prangt eine eigenhändige Zeichnung Cammells, im Buch folge zahlreiche weitere. Frühere Freunde, Geliebte und Mitarbeiter kommen ausführulich zu Wort, Farb- und Schwarzweißfotos dokumentieren die mitunter seltenen Filme, u.a. die fast vergessene Bataille-Verfilmung Simona. Das bereits mythische Bild des Künstlers und Filmemachers bekommt so neue Konturen, ohne seinen legendären Ruf als Hype zu entlarven. Das umfangreiche Buch endet mit ausführlichen und überzeugenden Betrachtungen des Autorenpaares zur These, dass Cammell aller Wahrscheinlichkeit nach eine Borderline-Persönlichkeit war. Wer also seit Jahren auf dieses Buch wartete - ob bewusst oder nicht - sollte umgehend zugreifen.

Ergänzend sei der in der Edition Text + Kritik erschienene deutsche Band "Nicolas Roeg" (Hrsg. Marcus Stiglegger & Carsten Bergemann) empfohlen, der ebenfalls ausführliche Betrachtungen zu Performance enthält.

Marcus Stiglegger

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English info:

Rebecca and Samuel Umland co-authored From Connecticut Yankees to Fisher Kings: The Use of Arthurian Legend in Hollywood Film (1996) which a reviewer for Choice said 'should be in every library in the world.' They have spoken and published widely on topics ranging from world cinema to the postmodern world of cyberculture. Together, they have written extensive essays on the work of such filmmakers as David Lynch, Ingmar Bergman, and Lars von Trier. Their writing has appeared in numerous countries, including the USA, UK, France, Germany, Australia and Hong Kong.