Claude Chabrol Classic Edition 1 und 2

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Box 1: - Zwei Freundinnen - Das Biest muss sterben - Die untreue Frau - Der Schlachter - Der Riss

Box 2: Die Straße von Korinth (1967) - Vor Einbruch der Nacht (1971) - Der zehnte Tag (1971) - Blutige Hochzeit (1973) - Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen (1975) und Bonux Disc

Claude Chabrol begann als Kritiker in den Cahiers du cinéma. Er gehörte zum Kreis derjenigen, die sich in der Cinemathèque Filmgeschichte aneigneten. Zusammen mit Eric Rohmer brachte er 1957 das berühmte Buch über Alfred Hitchcock heraus, den sie alle verehrten. Und mit seinen ersten beiden Spielfilmen LE BEAU SERGE (Die Enttäuschten, 1958) und LES COUSINS (Schrei, wenn du kannst, 1958) hat er zwei der wichtigsten Filme der Nouvelle Vague gemacht. Chabrol wird dennoch meist nicht zum engeren Kreis der Bewegung gezählt, weil seine nachfolgenden Filme in eine andere Richtung wiesen. LES BONNES FEMMES (Die Unbefriedigten, 1960) wird gelegentlich noch dazu gezählt und für Richard Neupert gilt auch noch LANDRU (Der Frauenmörder von Paris, 1962) als Nouvelle Vague , der, wie Godards LE MÉPRIS (Die Verachtung, 1963), von Carlo Ponti und Georges de Beauregard produziert wurde. Mitte der sechziger Jahre entfernte sich Chabrol mit einer Reihe von Agentenfilmen, die die James-Bond-Reihe parodierten, in der Tat weit von der Nouvelle Vague und auch von seinen eigenen avancierten Ursprüngen. Gegen Ende des Jahrzehnts fand er dann die Themen, die zu seiner Obsession werden sollten: die Bourgeoisie und deren Bigotterie, ihre Obsessionen und Abhängigkeiten, die mitunter kulminieren in Mord und grausamer Rache. Filme wie LA FEMME INFIDÈLE (Eine untreue Frau, 1968), QUE LA BÊTE MEURE (Das Biest muss sterben, 1969), LE BOUCHER (Der Schlachter, 1969) und LA RUPTURE (Der Riss, 1970) trugen zum Ruf Chabrols bei, den er bis heute innehat: Meister einer eigenen Spielart des französischen Kriminalfilms zu sein.

Das Kriminalistische hat ihn seit jeher interessiert. Er hat über Hitchcock geschrieben und 1955 in den Cahiers einen Artikel über die „Evolution du film policier“ verfasst. In seinen Filmen dienen ihm die Genremechanismen jedoch lediglich als Folie. Er fügt ihnen eine zusätzliche Dimension bei, indem er davon ausgehend einen intensiven Blick auf die alltäglichen Rituale eines modernen französischen Bürgertums wirft. Die Entwicklung dieses Stils führte von seinem Debüt LE BEAU SERGE über das zynische Sittengemälde LES COUSINS bis hin zu LES BONNES FEMMES, der in dem finalen Triebmord bereits deutliche Genreelemente aufweist.

Obwohl es Chabrol durch den Erfolg seines zweiten Films möglich war, seine eigene Produktionsfirma AJYM zu gründen, welche die Erstlingswerke von Eric Rohmer, Philippe de Broca und Jacques Rivette finanzierte, musste er selbst einige kommerzielle Misserfolge verkraften: LANDRU, seine eigene Lesart des Blaubart-Mythos’, erreichte nicht die erwartete Aufmerksamkeit, 1961 meldete auch seine Produktionsfirma Konkurs an. Dennoch konnte er sich im Laufe der sechziger Jahre mehr noch als Louis Malle als kommerzieller Filmemacher etablieren, schien dabei aber den anfänglich kritischen und experimentellen Gestus der Nouvelle Vague zu verraten. Allenfalls mit dem Dreiecksdrama LES BICHES (Zwei Freundinnen, 1967) gelang es Chabrol, den Geist der sechziger Jahre paradigmatisch einzufangen. Mit diesem Film wandte er sein primäres Interesse von jugendlichen Protagonisten ab und beschäftigte sich nun mit Ehebeziehungen.

Die in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren entstandenen Thriller markieren schließlich jene Phase, in der Chabrol seine langjährige Zusammenarbeit mit einem festen Mitarbeiterensemble etablierte, neben der Schauspielerin Stéphane Audran namentlich der Komponist Pierre Jansen, Kameramann Jean Rabier, Cutter Jacques Gaillard und Drehbuchautor Paul Gégauff – einige von ihnen begleiteten ihn bis ins Alterswerk der 90er Jahre. So trug Chabrol nicht nur stilistisch, sondern auch in seiner Arbeitsweise der politique des auteurs Rechnung.

Die bereits vor einiger Zeit erschienene DVD-Box Claude Chabrol Classic Edition 1 sowie die aktuelle 2. Box (Galileo Medien) zollen vor allem der erfolgreichen Thriller-Ära des Regisseurs Tribut. Die erste Box hat einiges an Kritik einstecken müssen, doch letztlich kann man von diesen ehrbar gealtertern Werken nicht allzu viel erwarten: Sie liegen in ansehbar gemasterter Form vor, manche in 16:9 anmorph, die meisten in 4:3 mit kleinen Breitwandstreifen. Immerhin findet man die Originalsprachversion stets anbei, mit deutschen Untertiteln. Auf dem berühmten Romy Schneider-Vehikel DIE UNSCHULDIGEN MIT DEN SCHMUTZIGEN HÄNDEN findet sich dann tatsächlich auch eine Bonus-Disc. Im französischen Fernsehen erzählen Chabrol und seine Hauptdarsteller von der gemeinsamen Arbeit. Dabei wurde für eine Dokumentation ein festliches Dinner veranstaltet, das jenen aus Chabrols Filmen gleich, und man meint geradezu, die Intrige wittern zu können...

Filmfans seinen die beiden Filmsammlungen in jedem Fall an Herz gelegt, man kann nämlich großartige Entdeckungen machen in den nun endlich vorliegenden Werken... z.B.:

Das Bild betritt Fréderique, eine Frau mit Stil: Mit würdevoller, erhabener Geste schreitet sie vorbei – hohe Wangenknochen, große, leuchtende, wenn auch etwas katzenhafte Augen, eine Pelzstola um den Hals geschlungen, die rötlichen, glatten Haare hochgesteckt. Auf einer Pariser Seine-Brücke wird sie einer jungen Pflastermalerin und Herumtreiberin begegnen, die sie in ihre großbürgerliche Wohnung nach St. Tropez einlädt. In ZWEI FREUNDINNEN von Claude Chabrol spielt Stéphane Audran mit faszinierend distinguierter Souveränität eine wohlhabende Lesbierin, die das Objekt ihrer Begierde alsbald gegen einen männlichen Konkurrenten verteidigen muss.

Stéphane Audran, Jahrgang 1932, etablierte mit einem Hauch bourgeoiser Arroganz einen speziellen Frauentypus: Sie ist die attraktive, elegante, sexuell aktive Mittelständlerin, die sich nach Veränderung ihrer gleichförmigen Welt sehnt und nicht zuletzt deshalb in Betrug, Intrige und gar Verbrechen verwickelt wird. Bereits früh spielte sie intensiv Theater in Paris, war im Fernsehen zu sehen und prägte schließlich seit ihrer Rolle in SCHREI, WENN DU KANNST (1958) diesen speziellen Frauentypus. In mehreren Filme pro Jahr interpretierte die Ideen ihres Mannes auf unvergleichliche Weise. In DIE UNTREUE FRAU (1969) war sie eine Ehebrecherin, die aus den engen Grenzen ihres bürgerlichen Ehehaushalts ausbricht und ihren Mann zu einem fatalen Verbrechen provoziert. Auch in BLUTIGE HOCHZEIT (1973) wiederholte sie diese Rolle an der Seite von Michel Piccoli, nur dass die Verwicklungen hier lokalpolitischer Natur sind. Mit ihrem bronzefarbenen Teint und ihrem sportlichen Körper verleiht sie den gemeinsamen Liebesszenen eine authentische Präsenz. Ihr unerfülltes Begehren verdeutlicht zugleich ex negativo den alltäglichen Überdruss einer domestizierten Kleinstadtgesellschaft. In DER RISS (1970) von Chabrol wird sie selbst das Opfer einer Intrige und droht im letzten Viertel des Films den Verstand zu verlieren, was sich in delirierenden Klängen und Farben um sie herum entfaltet, während sie selbst fast stoisch bleibt.

Wenn von Stephane Audran nur ein Bild bliebe, dann wäre es jener finale Moment aus Chabrols Psycho-Thriller DER SCHLACHTER (1969): Sie, die laszive Lehrerin einer ländlichen Kleinstadt, steht ihm, dem Schlachter, gegenüber, der gerade einer ganzen Mordserie für schuldig befunden wurde und in die Psychiatrie eingeliefert werden soll. Mit verzweifelten Blick schaut er sie, jene Frau, die er liebt und begehrt, an, doch ihre Mine bleibt undurchdringlich. Hat sie das Spiel mit dem Halbwissen und der Gefahr genossen, das sie mit ihm verband? Als er auf seiner Bahre in den Aufzug geschoben wird und sich die Türen schließen, blickt sie wie hypnotisiert auf das rot blinkende Lämpchen vor sich. Immer wieder schneidet Chabrol hin- und zurück zu ihrem Gesicht. Als das Licht zu blinken aufhört, spiegelt sich unendliche Trauer in ihren großen grünen Augen... Und da weiß sie noch nicht, dass der Mann mit ihrem Namen auf den Lippen gerade verstorben ist.

All das ist hier zu entdecken. Und noch viel mehr...

Marcus Stiglegger

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