Darkwood / Chaos as Shelter

Lapis

(HeidenVolk/Tesco 2004) CD 9 Tracks

Bereits auf der letzten CD "Herbstgewölk" (s.u.) richtete sich die deutsche Neofolk-Formation Darkwood konsequent nach ihrem Konzept und rettete sich nicht in eingängige wie vergängliche Mitsing-Passagen. Stets steht Thema und Aussage des jeweiligen Konzepts im Vordergrund. Das macht Darkwood möglichweise weniger gefällig als andere Bands des Genres, sichert ihnen aber auch eine weit größere Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung. Diesmal hat sich Henryk Vogel mit der Sängerin Vera Agnivolok und der israelischen Ambientband Chaos as Shelter zusammengetan, woraufhin das Ergebnis wiedrum eine Erweiterung des eigentlichen Darkwood-Spektrums ist: Vogels Stimme ist nur kurz und im Hintergrund zu hören, während die meisten Stücke von der russischsprachigen Sängerin bestritten werden (bekannt von der Compilation "Secret Lords"). Bei vielen Stücken treten immer wieder ambiente Strukturen in den Fokus, während die Folkpassagen schneller und expressiver als auf früheren CDs augefallen sind.

Grundsätzlich geht es hier, wie in der englischen Einleitung im schön illustrierten Beiheft von Christopher Walton/Endura und Henryk Vogel umschrieben, um Alchemie. Dementsprechend sind auch die 8 Stücke wie die Phasen der Schaffung des 'Steines der Weisen' betitelt:
1. Initiierung / Initiation: Ein an einen Geigerzähler erinnerndes Geräusch bildet die irrtierende Einleitung.
2. Auflösung / Liquefaction: Rituelle Trommeln steigern sich zu einem ekstatischen Höhepunkt.
3. Schwärzung / Melanosis: Was wie ein für Chaos as Shelter typisches Darkambientstück beginnt, entwickelt sich schließlich zu einem klagenden russischen Folksong, der von der Sängerin Vera Agnivolok gelungen vorgetragen wird.
4. Weißung / Leukosis: Die elegische Schwermut des vorangehenden Liedes wird hier ungebrochen fortgeführt, wobei die Akustikgitarre ein kämpferisches Up-Tempo anschlägt.
5. Gilbung / Xanthosis: Was mit einem Industrialloop beginnt, steigert sich wiederholt in eine emotionale Folkhymne, durchbrochen von deutschsprachigem Flüstern. Auch hier starke Kontraste. Manch einen wird der volle Gitarrenklang hier an Death in Junes "Little Black Angel" erinnern...
6. Rötung / Iosis: Ein zutiefst trauriger, wunderschöner Folksong.
7. Zusammenfügung / Coagulation: Zieht man spätestens an dieser Stelle die deutschen Texte des Booklets hinzu, erschließt sich die programmatische Vermischung alchemischer, spiritueller und metaphorischer Elemente auf dieser Platte. Hier erklingt auch die typische fragile Darkwood-Gitarre. Ein melancholischer Ausklang.
8. Ausbeute (chemisch für Ergebnis) / Yield: Die CD endet mit einem dichten, unheimlichen Ambientstück, das meist mit gläsernen, hohen Frequenzen und dumpfen Trommeln arbeitet, sich über 15 Minuten hinweg allerdings immer wieder auch in folkige Gefilde bewegt.

Henryk Vogel selbst erläutert die CD wie folgt: "Es geht hier aber nicht nur um den rein (al)chemischen Prozeß, was zwar interessant, aber wohl zu offensichtlich wäre, sondern vielmehr auch um eine Deutung dieser Phasen im psychologischen oder philosophischen Sinne. So kann das Schicksal eines Menschen oder ein Lebenszyklus oder auch allgemein der Werdegang des Lebens hineininterpretiert bzw. herausgelesen werden. Die vier Hauptphasen Schwärzung, Weißung, Gilbung, Rötung sind durch abgedruckte Gedichte unterstrichen, die letztendlich für die Liedtexte ins Russische übersetzt wurden. Der Text für Coagulation ist eine Reaktion auf bzw. eine Zusammenfassung der Kollaboration durch Vera Agnivolok im Sinne von "Wissend im Verborgenen weilen", der Text in "Yield" eine alchemistische Zusammenfassung des Prozesses."

Ingesamt kann man diese vielschichtige CD, die sich erst bei mehrmaligem Hören ganz erschließt, als weiteren eindrucksvollen Schritt in der spannenden Entwicklung des deutschen Ausnahmeprojekts Darkwood sehen, das sich beharrlich weigert, zum eigenen Klischee zu werden und mit jeder Veröffentlichung neue Themen und Ausdrucksformen erobert.

:ms:

Darkwood

Herbstgewölk

(HeidenVolk / Tesco 2004) 10 Tracks

Ein verbreitetes Klischee besagt, vom 'affirmativen Sound' einer Neofolk-Band sei grundsätzlich keine Neuerung zu erwarten. Das mag für einige Beispiele durchaus zutreffen, doch die Dresdener Gruppe Darkwood hat bereits mit der atmosphärischen CD "Heimat und Jugend" bewiesen, dass Akustikgitarre und Streicher nicht alles sein muss. Das Konzept von Darkwood erschöpft sich nicht in romantischer Wehmut nach 'vormodernen Verhältnissen', einem Heideggerschen 'Zurück in die Berge'... Hier wird der musikalische Ausdruck dem jeweiligen Sujet angemessen gewählt, und hatten sich die vorangehend drei CDs und die abschließende Live-Platte noch der schuldbeschatteten deutschen Vergangenheit gewidmet, steht nun der 'Kalte Krieg' der fünfziger Jahre zur Debatte. In Text und Klang wird hier eines der erschreckendsten Kapitel jüngerer Vergangenheit beschworen, eine Zeit, die die Welt an den Rand der atomaren Vernichtung katapultierte.

Was mit den amerikanischen Bomben auf Hiroshima und Nagasaki begann, setzte sich unbeirrt in der russisch-amerikanischen Gletscherpolitik der folgenden Jahrzehnte fort. Und so reflektiert dieses neue Werk von Darkwood die unterschiedlichen Facetten einer latenten Bedrohung: die Kommunisten-Paranoia ("Verschwörung"), die euphemistische Umschreibung der endlosen Atomtest ("the most beautiful sight..."), die Ausmaße der Vernichtung, die unter radiaktivem Schnee begraben wird ("Weiße Welt") und die beiderseitige Unnachgibigkeit der USA und der UdSSR. So ist der hier beschworene "Opfergang" kein pathetisches Feiern eines fadenscheinigen 'Frontheldentums', wie man es andernorts immer wieder findet, sondern die fatalistische Einsicht in ein umfassendes Ende: "Im Sonnensturm die Welt erzittert; / verstummt nun ist der Waffenklang. / Strahlende Macht, die ihr entfesselt, / ward Drangsal nur und Opfergang." Dieser Opfergang lässt Ernst Jünger beiseite und zitiert satt dessen Georg Trakl "Menschliche Trauer"... Die visuelle Gestaltung zeigt dann tatsächlich die bizarre Schönheit jenes "Sonnensturms", den Atompilz, kontrastiert mit einem unberührten, dörflichen Ambiente auf der Rückseite. Das Foto auf der CD selbst kombiniert beides: Hier sehen wird eine Rakete über Kornähren dahingleiten.

Henryk Vogel hat fast alle Instrumente dieser CD selbst eingespielt, unterstützt wurde er an Violoncello und Melodica. Mehr als zuvor greift er auf Sprachsamples (aus der amerikanischen und russischen Politik) zurück und beschwört die Atmosphäre thematisch verwandter Filme (gerade das erste Stück erinnert zugleich an Kubricks DR. SELTSAM und den Paranoiafilm DIE DÄMONISCHEN). Auch die Folkgitarre kommt nicht zu kurz, doch mischt sie sich mit anderen Elementen, schöpft großzügig aus dem Fundus europäischer Musikgeschichte. "Herbstgewölk" ist eine faszinierende, beklemmende und vom Thema her relevante Platte, die sich erst mit mehrmaligem Hören in ihrer ganzen Fülle erschließt.

cd