Aldo Chimenti

Death in June
Unter Runen verborgen

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(Plöttner Verlag 2011) 464 Seiten

Im Jahr 2012 haben sich die Schleier der Dämonisierung allmählich gelüftet und geben den Blick frei auf eine der einflussreichsten und umstrittensten britischen Musikgruppen der Post-Joy-Division-Ära: Death in June. Das war nicht immer so, zumal in Deutschland, wo um die Jahrtausendwende eine vor allem politisch motivierte Kritik ein teilweise verzerrtes und bizarres Bild dieser Formation zeichnete. Dabei lag bereits Mitte der 1990er Jahre eine umfassende Interpretation des umfangreichen musikalischen Schaffen von Death in June-Gründer Douglas P. vor: Robert Forbes' "Misery and Purity", eine minutiöse Darstellung einzelner Songs und Artworks, inklusive einer umfassenden Würdigung der Wurzeln im linksextremen Punk von Crisis, wo Douglas P. und Tony Wakeford (später Sol Invictus) zuvor aktiv waren.

Während Forbes' lesenswertes Buch lange nicht mehr erhältlich ist, erschien 2009 in Italien eine von Douglas P. aktiv unterstütze Bandbiografie des Musikjournalisten und devoten Fans Aldo Chimenti. Und es war umso spannender, als nun eine umfassend von dem Kulturwissenschaftler Alexander Nym ("Schillerndes Dunkel") annotierte deutschsprachige Version des Buches erschien. Zumal der Leipziger Plöttner Verlag durchaus als bibliophil bezeichnet werden kann: gebundene Ausgaben mit Fadenheftung, Farbblöcken und dickem Cremapapier zeichnen die Veröffentlichungen aus - so auch "Unter Runen verborgen", die Übersetzung von Chimentis Werk.

Macht man sich an die durchaus mühsame Arbeit, die 450 Seiten komplett zu lesen, wird schnell deutlich: Chimenti schreibt hier keine Biografie oder Analyse, sondern einen Roman. Einen Roman über seine vergötterte Liebslingsband, die ihm zufolge einfach in allen Belangen großartig ist. Insofern wundert man sich fast über die Kontroverse, die Death in Junes Performances von Beginn an begleitet (und nicht nur in Deutschland): Chimenti problematisiert weder das von der SS abgeleitete Totenkopf-Logo, noch die späteren (Original)Uniformen der Waffen-SS, die Douglas P. auf der Bühne trägt - obwohl das im künstlerischen Kosmos von Death in June zweifellos Sinn macht und als theatrale Performanz an sich legitim ist. Chimenti relativiert alle möglichen Kritikpunkte (die Ära in Kroatien etwa), redet sie banal zur Seite und glorifiziert den Rest. So ist ihm auch der Rassentheoretiker Arthur de Gobineau nichts weiter als ein "Erforscher antiker Religionen und der Philosophie des Orients" (S. 206) - während erst eine Fußnote den rassistischen Subtext expliziert. Der amerikanische Berufsprovokateur mit Swastika-Faible Boyd Rice ist bei Chimenti eine "merkurische Intelligenz, ein aktiver Vulkan, der Überraschungen und umstürzlerischen Geistesblitzen nur so sprüht". So verwundert es auch kaum noch, dass der im Werk von Death in June so deutliche homosexuelle Subtext von Chimenti gelegentlich zwar erwähnt, selten aber als Schlüssel benutzt wird, als wäre das nur ein lästiger Nebenaspekt. Auf Seite 429 liefert Chimenti eine so vereinfachte Definition des Songtitels "Takeyya", dass sogar der Herausgeber in einer Fußnote mutmaßt, der Autor zeige hier seine eigene "Islamophobie".

Aldo Chimentis schwülstig-pathetischer Stil ist vor allem in der deutschen Übersetzung schlicht unerträglich und geradezu lächerlich: Da erscheint Boyd Rice als "schwarze Elf", die uniformierten Fans als "Wolfsjugend", und das Album "Abandon Tracks" ist für Chimenti "ein Vademecum Vitae, das man immer in Reichweite halten kann. Das ist es aus jeder Perspektive, aus der man es betrachtet, in der Gestaltung wie im Inhalt, selbst in der liturgischen (!) Abfolge der Titel, deren Klimax ein Feuerrad eines plastischen stellaren Gleichgewichts ist, ein Labyrinth entstehender akustischer Reiserouten, flüssiger Gnadenzustände und wiederzuentdeckender Meilensteine - ebenso wie die Runen Wahrer eines unerschöpflichen mysteriösen Logos" (S. 392). Hallelujah. Und Amen. So ein Stil funktioniert vielleicht in einer Fanzine-Kritik, nicht aber auf 450 Seiten.

Ingesamt ist "Verborgen unter Runen" leider nicht als Einführung in die Bandgeschichte empfehlenswert, da es einen unverholenen (Band-)Geschichtsrevisionismus betreibt, der nur mühsam von den Fußnoten des deutschen Herausgebers im Zaum gehalten wird. Es handelt sich um genau den Zugang, der einst zur massiven Kritik an der Band geführt hatte und dient somit allenfalls einer weiteren Mystifizierungen, niemals jedoch einem aufgeklärt-kritischen Umgang. Insofern könnte der Text von Chimenti an sich sogar Schaden verursachen. Wer im Besitz weiterer und erheblich differenzierterer Death in June-Abhandlungen ist ("Misery and Purity", "Le Livre brun") kann das Buch als aktualisierte Ergänzung betrachten und wird möglicherweise vom Materialreichtum angetan sein. Hier ist vor allem von der italienischen Originalausgabe abzuraten, die pure Beweihräucherung darstellt, während die deutsche Ausgabe zumindest mit einem kompetenten Nachwort von Alexander Nym, einem Glossar und kritischen Annotationen überzeugt. "Verborgen unter Runen" bleibt zwiespältig, wenn auch von bibliophiler Schönheit...

:ms: