Ein Zug für zwei Halunken

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Regie Robert Aldrich
Darsteller Lee Marvin
Ernest Borgnine
Keith Carradine u.a.
Genre Thriller
Filmlänge ca. 115 min
Sprachen Deutsch, Englisch
Untertitel
Produktion USA 1973
Tonformat Dolby Digital 2.0
Bildformat 1.85:1 (16:9)
FSK ab 16
Extras: Deutscher Kinotrailer, Bildergalerie mit seltenem Werbematerial, Englischer Trailer, Making of (ca. 7 Minuten), Booklet
Im Handel ab 04.02.2011

Als Hollywoods zynischster Chronist ging Robert Aldrich bereits in den 1960er Jahren in die Filmgeschichte ein. Unvergessen bleiben seine systemkritischen Thriller und Melodramen The Big Knife (Hollywood Story) und Whatever Happened to Baby Jane (Was geschah wirklich mit Baby Jane), sowie die humanistischen Western Apache (Massai - Der große Apache) und Ulzana’s Raid (Keine Gnade für Ulzana). Nach und nach kann man auch seine anderen Werke auf DVD neu entdecken. Und mit Koch Medias EIN ZUG FÜR ZWEI HALUNKEN (1973) liegt einer weiterer vergessener Klassiker zu Neubewertung vor.

Aldrich, am 9. August 1918 in Cranstone geboren, studierte an der Universität von Virginia Recht und Wirtschaft, bis er 1941 als Produktionsangestellter zu RKO nach Hollywood ging. Seine Laufbahn umfaßte Tätigkeiten als Regieassistent für bedeutende zeitgenössische Regisseure (Edward Dmytryck, Renoir, Losey, Chaplin), Produktionsmanager und Produktionsleiter. Gleichzeitig begann er, für Fernsehserien zu schreiben und Folgen zu inszenieren (The Doctor, China Smith). 1953 drehte er mit dem Baseball-Drama The Big Leaguer seinen Debütfilm. Ein Jahr später verpflichtete sich Aldrich für United Artists und inszenierte dort seinen ersten großen Indianer-Western Apache mit Burt Lancaster in der Hauptrolle, der das vom Genozid seines Volkes gezeichnete Bild Häuptling Geronimos spiegelt. Im Gegensatz zu diesem kritischen Ansatz bewährte er sich noch im selben Jahr auch in der unterhaltsamen Spielart des Westerns, der Revolutionskomödie Vera Cruz, in dem wieder Lancaster und Gary Cooper zwei Söldner im revolutionserschütterten Mexiko des Jahres 1860 spielen. Aldrich hatte sich so schnell als unbequemer aber versierter Hollywood-Regisseur etabliert und arbeitete auch in der Folgezeit immer wieder mit Lancaster zusammen. Bereits im Jahr darauf gründete er seine Produktionsgesellschaft Associates and Aldrich und produzierte viele seiner folgenden Werke.

Ein weiteres Meisterwerk lieferte A. mit dem späten film noir Kiss Me Deadly (Rattennest, 1955) ab, einer zynischen, bösartigen Verfilmung eines pulp-Romans des berüchtigten Mickey Spillane, die er persönlich nie mochte. Thriller-Routinier Ralph Meeker spielt den psychotischen, sozialdarwinistischen Privatdetektiv Mike Hammer, der alle Neurosen des noir-Helden in einer Figur zu Grabe trägt. Er prügelt und foltert sich durch ein wirres Verbrechenslabyrinth, das nur in seiner abstrusen Auflösung (es geht um radioaktive Brennelemente) kulminieren kann. A.s bitterer, distanzierter Regiestil zeigt sich hier in einer reinen Form, an die er immer wieder anschließen wird.

Die folgenden Jahre waren von Aldrichss Hinwendung zum Kriegsfilm dominiert. Er pendelt dabei zwischen zynisch-distanzierten Darstellungen, die durchaus eine kritische Position vermuten lassen (Attack!, 1965), und dem eher exploitativen Zugang zum „Kriegsabenteuer“: The Angry Hills (Hügel des Schreckens, 1959) steht mit seinen reißerischen Elementen Kiss Me Deadly näher als dem gelobten dokumentarischen Blick des Vorgängerfilms, doch gerade die Thematik (Verfolgung durch die Gestapo als Thrillermotiv) wurde als geschmacklos angegriffen. Ironischerweise wird später gerade der Abenteuerfilm The Dirty Dozen (Das dreckige Dutzend) zu seinem größten Erfolg.

Die 60er Jahre begannen für Aldrich mit routinierten Großproduktionen wie Sodoma e Gomorra (Sodom und Gomorrha, 1963), einem modischen historischen Monumentalfilm, der ihn immerhin in Italien mit dem jungen Sergio Leone zusammenbrachte, doch einen wirklich neuen, frischen Impuls garantierte erst Warner Bros. mit ihren Engagement für den neo-gothic-Thriller Whatever Happened to Baby Jane? (1962). Dieses finster-ironische Porträt einer von Abhängigkeiten geprägten Frauenbeziehung zwischen Bette Davis und Joan Crawford schloß gelungen an Aldrichss bittere Abrechnungen mit dem Hollywoodsystem an und schuf eine neue Richtung des Psycho-Thrillers: Fortan gelang einigen gealterten Hollywooddiven ein Comeback als „mörderische Frauen“ in vergleichbaren Dramen. Auch Aldrich schloss daran an, als er den eher effektbetonten, an den früheren Schattenspielen Jacques Tourneurs orientierten Thriller Hush Hush, Sweet Charlotte (Wiegenlied für eine Leiche, 1964) und das Lesben-Melodram The Killing of Sister George (Das Doppelleben der Sister George, 1968) inszenierte. Er lässt die Enttäuschungen der Vergangenheit - jeweils dominiert vom schillernden Hollywood-System, dem erbarmungslosen Patriarchat und dem Fernsehgeschäft - effektiv in mörderische Neurosen und Wahnsinn münden. Gegen Mitte des Jahrzehnts gibt der Regisseur schließlich seinen scharfzeichnenden Schwarzweißstil zugunsten einer flächigen, eher „weichen“ Farbdramaturgie auf. Ein Stilmittel, das er etwa zu dieser Zeit etablierte, sind die langgedehnten, oft bis zu 15 Minuten langen Pretitle-Sequenzen, die etwas an den Manierismus der „rituellen“ Inszenierungen Sergio Leones erinnern. Am Deutlichsten in seinen kritischen Ambitionen wird Aldrich mit seiner Verdammung des Hollywood-Systems in The Legend of Lylah Clare (Große Lüge Lylah Clare, 1967). Dieses komplexe Psychodrama um eine fast Hitchcocksche Identitätsverschmelzung (bewußt mit Kim Novak besetzt) bot einen schonungslosen Blick in die zynischen Mechanismen des Filmgeschäfts, versagte jedoch kommerziell. Rückblickend läßt sich dieses Werk als A.s persönlichster Kommentar einstufen.

Als Glanzleistung des Abenteuerfilms gilt heute The Flight of the Phoenix (Der Flug des Phoenix, 1965) mit James Stewart und Hardy Krüger. Die Überlebenden eines Flugzeugabsturzes in der arabischen Wüste sind gezwungen, aus den Wrackteilen ein neues Flugzeug zu basteln, bevor das Wasser verbraucht ist. Mit scharfem Blick beobachtet der Regisseur die sozialen Mechanismen innerhalb dieser unfreiwilligen „Männergesellschaft“, verliert jedoch nie die Thrillerstruktur des Drehbuchs aus den Augen. Ein Meisterwerk, das unglücklicherweise im Schatten des durchschlagenden Erfolges des aufwendigen Kriegsabenteuers The Dirty Dozen (1967) steht. Dieser Film ermöglichte Aldrich immerhin die Finanzierung eines eigenen Studios, das er 1973 nach finanziellen Debakeln jedoch wieder aufgeben mußte. Der Regisseur reihte sich hier prototypisch in die seit den 50er Jahren populäre Tendenz ein, Kriegsgeschehnisse als abenteuerliche Western zu erzählen, und erzählt hier mit vorhersehbarer Starbesetzung von dem Himmelfahrtskommando eines speziell rekrutierten Trupps Krimineller während des Zweiten Weltkrieges. Mit seinen späteren Kriegsfilmen Too Late the Hero (Antreten zum Verrecken, 1969) und Twilight’s Last Gleaming (Das Ultimatum, 1977) zu seinem radikalen antiautoritäten Gestus zurück.

The Killing of Sister George war die erste Produktion von Aldrichs zweiten Versuch, eine Produktionsfirma zu etablieren: Cinerama Releasing Corporation. Dieses Drama um eine alterende Soap-Opera-Diva (Beryl Reid), die ihre Rolle und ihre Beziehung zu einer jüngeren Schauspielerin (Susannah York) schwinden sieht, machte jedoch eher unfreiwillig Furore als einer ersten Spielfilme, denen mit einem X-rating (= jugendgefährdend) das große Publikum verwehrt wurde; das Komitee nahm Anstoß an einer tatsächlich eher zahmen Darstellung weiblicher Homosexualität.

Aldrichss späte Karriere in den 1970er Jahren wird dominiert von einem verkannten Meisterwerk des Western: Ulzana’s Raid (1972) entstand im Zuge der polit-kritischen Vietnamparabeln als antirassistischer Indianerwestern und erschien dem amerikanischen Publikum wie ein Schlag ins Gesicht. Der Film schildert die weißen Siedler als ebenso grausam und „unmoralisch“ wie die marodierenden Apachen und sucht eine Schuld in der Unvereinbarkeit der Kulturen. Die Grundhaltung dieses radikalen Films spiegelt sich deutlich in der resignativen Haltung des schicksalergebenen alten Generals (Burt Lancaster), der dem jungen Offizier jede Illusion raubt. Diese späte Fortsetzung von Apache bleibt A.s letztes großes Monument.
Die letzten Jahre seiner Karriere werden dagegen dominiert von harten Actionfilmen (The Grissom Gang, The Longest Yard, Twilight’s Last Gleaming und klamaukigen Komödien (The Choir Boys, The Frisco Kid). Lediglich der moderne film noir Hustle (Straßen der Nacht, 1975) konnte noch etwas von der melodramatischen Tragik der frühen Dramen bewahren, indem sich die an den Mustern des zeitgenössischen Polizeifilms orientierte Handlung nicht in Actionplatitüden erschöpft, sondern den Protagonisten Burt Reynolds und Catherine Deneuve viel Raum für das Porträt ihrer problematischen Beziehung läßt. Auch das rüde road movie Emperor of the North (Ein Zug für zwei Halunken, 1972), The Grissom Gang (Die Grissom Bande, 1971) und Twilight’s Last Gleaming sind stellenweise eindeutig als typische Filme des Regisseurs identifizierbar, bewegen sich jedoch auf einem unentschiedenen Grat zwischen kommerzieller Eindeutigkeit und ironisch-zynischer Distanz.

EIN ZUG FÜR ZWEI HALUNKEN gehört also zu den letzten wirklich typischen Robert Aldrich-Filmen - eine schonungslose Mischung aus Road Movie und Neowestern, sozialkritisch und doch reißerisch in seinen Gewaltexzessen, voll von grimmigem Humor und markigen Sprüchen. Wie alle Hollywood-Auteurs arbeitet Aldrich mit seinem Ensemble (Musik von Frank DeVol, Darsteller Lee Marvin und Ernest Borgnine) und erzählt eine bizarre Episode aus dem Leben der Verlierer der Wirtschaftskrise.

Die USA erleben in den 1920er Jahren eine der größten Depressionen in der Geschichte. Während dieser Zeit ist es schwer zu überleben, das Land ist übersäht mit heimatlosen und armen Leuten. Shack (Borgnine) ist der berühmt-berüchtigte Lokomotivführer der Linie 19, der diese Landstreicher (Hobos) verachtet. Er hat geschworen, dass kein Obdachloser jemals einen Fuß in seinen Zug setzen würde, es sei denn, er könne die Fahrt bezahlen. Alle anderen werden mit Eisenstangen und Ketten vom fahrenden Zug geprügelt. Ass Nr. 1 (Marvin), der König der Tramps, ist bereit das Risiko einzugehen und ein Held zu werden, indem er versucht der erste Obdachlose zu sein, der eine Fahrt mit Shacks Zug überlebt. Zusammen mit einem unfreiwilligen Lehrling (Keith Carradine) fordert den Sadisten heraus. Auf dem rasenden Zug kommt es zum blutigen Duell mit Fäusten, Äxten und klirrenden Ketten.

Für Aldrich typisch beginnt EIN ZUG FÜR ZWEI HALUNKEN mit einer schockierenden Pre-Title-Sequenz: Shack prügelt einen Hobo vom Zug, der schließlich überrolt wird. Eine zerteilte Leiche bleibt zurück. Mit grimmigem Humor und brutalen Ausbrüchen verfilmt er autobiografische Erzählungen von Jack London (veröffentlicht unter dem Titel 'The Road'). Ein gnadenloses Lex Talionis dominiert den täglichen Kampf ums Überleben - die Wirtschaftskrise hat längst einen Sozialdarwinismus begünstigt, den Jack London angeblich unter dem Pseudonym Ragnar Redbeard ('Might is Right') zur Lebensphilosophie erhob.

Die DVD von EIN ZUG FÜR ZWEI HALUNKEN bietet den Film in gelunger Qualität (dem Alter gemäß etwas soft vom Bildeindruck). Neben einigen Trailern liegt auch ein sehr kurzes Vintage-Making-Of in VHS-Abtastung vor. Besonders gelungen ist das 28-seitige Booklet, das neben informativen Notizen zum Film auch einen Text von Aldrich selbst und einen Austausch mit Francois Truffaut enthält. Zudem erfährt man, dass Sem Peckinpah höchst interessiert an dem Film war und sich zumindest freuen konnte, als sein bewunderter Kollege Aldrich die Regie übernahm.

EIN ZUG FÜR ZWEI HAKLUNKEN - ein erfreulich altmodischer historischer Actionfilm mit charismatischen Stars, aufwändigen Bildkompositionen und einem rauhen Unterton. Es lohnt sich, einen neuen Blick auf Robert Aldrich zu werfen.

Marcus Stiglegger