Experimental-Elektronik Frühjahr 2004

Von Oliver Keutzer

V.A. – Fatcat Records Compilation Split Series 9-16
(FatCD 31, CD, 17 Tracks)

Dem Charme des Seriellen gibt man sich auch im Hause Fatcat, seines Zeichens Werkstatt und Hafen für unterschiedlichste Stile und Künstler im Bereich elektronischer Klangfor-schung, immer wieder gerne hin. Die seit 1998 laufende Serie von Split-Maxis, auffällig ge-rade durch ihr extrem unauffälliges, minimalistisches Design, erfordert jedoch in ihrer Ten-denz zum Ausufern von Zeit zu Zeit eine Konzentrationsanstrengung auf CD-Format. Wohlan denn, nach „Split Series 1-8“ liegt die nun zweite Compilation „9-16“ vor mit Tracks von Kid 606, Ultra-Red oder Matmos. Und wieder erwartet den Hörer ein weitgefächertes Spektrum zwischen kruden, metallisch-brutalen Drum´n´Bass-Stücken wie Christoph De Babalons „Cum on (Feel this)“, Aphex-Twin-inspirierten Uptempo-Acid-Orgien à la Duplo_Remote („Beatbox Blagger“) und freakigem Electro-House von Matmos („Freak N You“).
Doch auch sanfte Klänge erschallen: Fennesz weiß mit einem wunderschön langsamen Stück Melancholie zu erfreuen („47 Blues“), und David Grubbs liefert seltsam loop-orientierte Pia-no-Etüden ab („The World brushed aside“). Fatcat garantiert einfach immer wieder jene Über-raschungsmomente, wenn anspruchsvolle elektronische Musik plötzlich auch unterhaltsam wirkt. Die Wartezeit bis zur Compilation „17-24“ wird so aufs angenehmste verkürzt.

DJ Spooky That Subliminal Kid – Rhythm Science: Excerpts and Allegories from the Sub Rosa Audio Archive

(Sub Rosa 201, CD, 33 Tracks)

Es gibt Auftragsarbeiten, nach denen sich DJs die Finger lecken: den Sub Rosa-Backkatalog zu remixen, diesen randvollen Topf mit Bonmots von Antonin Artaud, James Joyce oder Gil-les Deleuze, müsste eigentlich ein Job ganz nach Paul D. Millers (alias DJ Spooky) Ge-schmack sein. Und der liefert wirklich einen formidablen Mix ab, der gekonnt zwischen hochkulturellen Theorieversatzstücken und populärkulturellen Tanzimpulsen vermittelt, wenn diese Unterscheidung an dieser Stelle überhaupt noch Sinn macht. Denn wenn plötzlich Ger-trude Steins Sprachetüde „I told him, a completed Portrait of Picasso“ perfekt zu DJ Wallys „Zeta Reticuli“ rappt oder Marcel Duchamps „Some Texts from à l´infinitif“ mit zwei abs-trakten Oval-Tracks fusionieren, erhalten die oft bemühten Pole von „E“ und „U“ eine ganz andere Wertigkeit: Sie stehen sich – zumindest für knapp 80 Minuten – nicht mehr in unver-söhnlicher Feindschaft gegenüber, spielen ihre Zeichensystem nicht länger gegeneinander aus, sondern erhellen sich gegenseitig: So liegen z.B. die beiden (Ton-)Ebenen von Nicholas James Bullens Triphop-Collage „Again and Again“ bzw. Brion Gysins klagender Violine unter einem von Gilles Deleuze gesprochenen Text über „singularités disparates“ – eine mu-sikalische Neukombination von Klangebenen wird hier durch den zitierten Textauszug reflek-tiert, das Ergebnis in Spookys Remix erneut auf einer höheren Ebene gebrochen. Wenn schließlich Patti Smith ihren Song „Morning High“ (auf Englisch) und Sussan Deyhim ihren Text „The Last Reading“ (auf Französisch) übereinander sprechen, treten die Kontraste, aber auch die gegenseitigen Erhellungen einzelner Passagen viel stärker hervor als die Frage, wel-cher Text originär und welcher epigonal sei. „Who is standing in the shadow of whom? How do we decide what is high-culture, and why? How does one art form become privileged over another?”, zitiert und fragt DJ Spooky in seinem stellenweise leider etwas selbstgefälligem Begleitschreiben. Seine musikalische Alternative zum stetigen menschlichen Bedürfnis, Be-deutung durch Setzungen zu erzeugen, steht zwar selbst in der Tradition der Remix-Kultur, die allzu oft jeden musikalischen Ausgangstext zum gleich gültigen, sprich gleichgültigen Material degradiert. Innerhalb dieser Tradition markiert sie jedoch eine ebenso spannende wie technisch souveräne Ausnahme. Um es mit Vladimir Maïakowski zu sagen: „Une aventure extraordinaire“.

Sumugan Sivanesan – Spare your Speakers / Durán Vásquez – Pigua Megapigua
(Crónica 007-2003, CD, 18 Tracks)

Spannend: zwei Künstler mit höchst unterschiedlicher regionaler und musikalischer Herkunft, mit heterogenen Ästhetiken und Produktionsstrategien auf einer Split-CD. Der in Australien arbeitende Sumugan Sinavesan präsentiert in insgesamt 8 Tracks eine Auswahl experimentel-ler, oft sehr improvisiert klingender Soundcollagen, deren mal fragilere („Sinus“), mal grob-körnigere („One Note Solo“) Struktur vorschnelle Kategorisierungen immer wieder gekonnt unterläuft. Sinavesan, dessen sympathische Klangkörper u.a. das International Symposum for Electronic Art im japanischen Nagoya (2002) untermalten, kann auch auf einen breiten Erfah-rungsschatz als Rockmusiker bauen, was man in der von extremem Hall und ausufernder Distortion geprägten und entfernt an missbrauchte E-Gitarren erinnernden Exkursion von „Across“ noch vage zu erkennen glaubt. In gewisser Weise setzt Sumugan Sinavesan die Ex-perimente des Krautrock mit digitalen Mitteln fort.
Wo man Sinavesans Stücken einen avantgardistischen Impuls zur Formenimplosion anmerkt, beweist Durán Vásquez die größere Vielfalt. Der erforscht nämlich Klanglandschaften, die neben ausschweifenden Delay-Spielereien auch über rudimentäre Melodien („Rochas no Ceo“) und Beats („Virus Simplicity“) verfügen. Vásquez hat sich in den neunziger Jahren mit Techno und Ambient beschäftigt („War Simplicity“), die Grenzen dieser Genres jedoch im-mer wieder kreativ unterwandert. Besonders sympathisch: In Vásquez´ Ästhetik begegnet man dem Werk eines musikalischen Autodidakten, der sich nicht selbst als übertrieben inno-vativ ausstellt, sondern stattdessen sehr unaufgeregt seine ganz eigene Suche nach neuen mu-sikalischen Ausdrucksformen betreibt.
Abgerundet wir diese Split-CD durch zwei Quicktime-Files der schweizerischen Video-Künstlerin Maia Gusberti, die zwei weitere Sinavesan-Tracks visuell umsetzt.

Oliver Keutzer