Un Chant d'amour (Song of Love) Two Disc Limited Edition

4,5 / 5 Sterne

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Actors: Java, André Reybaz, Coco Le Martiniquais, Lucien Sénémaud, See more
Directors: Jean Genet
Format: Color, Limited Edition, NTSC
Language: French
Region: All Regions
Number of discs: 2
Rating
Studio: Cult Epics
DVD Release Date: February 27, 2007
Run Time: 123 minutes
DVD Features:
Available Subtitles: English
Available Audio Tracks: French (Unknown Format)
Introduction by Jonas Mekas
Commentary by Kenneth Anger
"Genet," a 1981 documentary directed by Antoine Bourseiller
"Jean Genet," an interview from 1982 conducted by Bertrand Poirot-Delpech
Booklet with stills

Ein weißes Blumenbouquet weckt die Neugier des Gefängniswärters: Es wird von einem Zellenfenster zum anderen immer wieder vor- und zurück- geschwungen, da die Hand im anderen Fenster offenbar zu langsam ist, das Bündel zu fangen... Der strenge Wärter in schwarzer Uniform inspiziert die ihm unterstellten Zellen nacheinander, nur um in jeder einen masturbierenden Gefangenen zu entdecken. Offensichtlich erregt, konzentriert sich der Wärter schließlich auf den stummen 'Dialog‘ eines jungen Häftlings im Matrosenhemd und dessen ausgiebig tätowierten Zellennachbarn. Sie kommunizieren stellvertretend über die bemalte (tätowierte), raue Oberfläche der jeweiligen Seite ihrer Zellenwand. Zeitweise scheint diese Wand selbst das Objekt der Begierde zu werden. Durch einen Strohhalm, den sie durch eine Öffnung in der Wand führen, tauschen die Gefangenen Zigarettenqualm aus. Dieser Anblick erregt den Wärter noch mehr: Er dringt in die Zelle eines alten Gefangenen ein – vermutlich der Mann mit dem Blumenbouquet – und demütigt ihn brutal, für das Opfer wiederum der Anlass, eine romantische Liebesszene mit einem jüngeren Mann im Wald zu imaginieren. Später wird der Wärter den alten Mann mit seiner Dienstwaffe oral penetrieren. Als er schließlich den Zellblock verlässt, pendelt der weiße Blumenstrauß wie zuvor zwischen den schmalen Maueröffnungen. Der Wärter wendet sich jedoch zu früh zum Gehen, um noch mitzubekommen, wie das Bouquet schließlich gefangen wird.

Das erste Bild des Films: In fast kindlich-runder Handschrift steht auf einer dunklen Steinwand mit Kreide geschrieben „Un chant d’amour PAR JEAN GENET“, umrahmt von einem durchbohrten Herzen und kleinen Blumen. In diesem einzigen Film des Schriftstellers Jean Genet – UN CHANT D’AMOUR (1950) – wird mit einfachsten Mitteln und prägnanten Standardsituationen eine Welt ohne Frauen ausgemalt: der hermetische männliche Kosmos des Gefängnisses. In einer an Jean Cocteau angelehnten Bildsprache erzählt Genet collagenartig von den Sehnsüchten und Freiheitsträumen einiger Häftlinge. Er bedient sich dabei einer aus seinen Romanen bereits bekannten visionären Erzähltechnik, die reales Geschehen mit Imaginiertem zusammenfließen lässt. Im Grunde finden sich die Schlüsselsituationen in den Traumsequenzen und Zwischenschnitten; auf diese Weise etabliert UN CHANT D’AMOUR drei Erzählebenen: das Geschehen im Gefängnis, die Phantasie des Wärters und die Träume des älteren Gefangenen. Lediglich das erotische Spiel zwischen dem Afrikaner und dem Tätowierten ist objektiv in der filmischen Realität anzusiedeln. Wesentlich für diesen realen Teil ist die Erotisierung der Zellmauer, die selbst mit den Zeichnungen und ihrer ertastbaren Struktur zu einer Ersatzhaut – zum sexuellen Surrogat – wird angesichts der hoffnungslosen Einsamkeit der Häftlinge. Auch der Unterwerfungsakt an dem älteren Gefangenen wird offenbar zum Ersatz zwischenmenschlicher Körperlichkeit und erzeugt weniger Angst, als dass er zur Inspiration erotischer Wunschphantasien wird.

Die ambivalente Faszination, die Jean Genet in der Gefängnissituation und letztlich der Unterwerfung unter den dominanten, nahezu faschistoiden Wärter sieht, ähnelt in der Konsequenz dem von Julia Kristeva geprägten Begriff des Abjekts, der den dunklen Aspekt des Ichs bezeichnet, welcher im Rahmen der Ich-Bildung einer Persönlichkeit in der Abgrenzung zur mütterlichen 'Chora‘ entsteht. Das Abjekte, das Ausgegrenzte, wird trotz des Abscheugefühls immer wieder als Teil des Selbst empfunden – letztlich ist es dessen negative Projektion – und bedroht die Grenze der Selbstdefinition. Aus diesem 'Kampf‘ mit dem Abjekten entsteht das auch in CHANT D’AMOUR vorgeführte Verhalten: Genets Häftlinge sind von einer Ich-Auflösung zutiefst affizierte Figuren, die in streng stilisierten Ritualen von Begehren und Unterwerfung eine neue Grenzziehung, eine Ganzheitlichkeit, anstreben. Das Abjekt-Verhältnis spiegelt sich zusätzlich im Verhalten des Filmbetrachters zu Genets Film als auch zu den folgenden Beispielen: All diese Filme wurden teilweise vehement abgewehrt, sogar aggressiv bekämpft, da sie nicht zuletzt die Annäherung an das Abjekte wagen, das offenbar zahlreiche Zuschauer affiziert – und folglich abstößt.

Jean Genets einziger Film, vom Künstler selbst verstoßen (auch dies ein bemerkenswertes Faktum), ist bereits beim British Film Institute als DVD erschienen, dort begleitet von einem kundigen Kommentar von Jane Giles sowie einem großartigem Ritualmusik-Score von Simon Fisher Turner. Die vorliegende Doppel-DVD von Cult Epics, einem der spannendsten und mutigsten amerikanischen Label, überbietet BFIs Edition noch, indem hier eine Extra-Disc mit zwei langen Interviews beiliegt, sowie ein Booklet mit Standbildern aus dem Film. Beide DVDs enthalten den Film in einer vom ungekürzten Positiv gemasterten Kopie, die zwar deutlich rauscht und falckert - doch das ist in der Materialität des Werkes begründet. Genet wollte den Film ganz stumm haben, daher fehlt hier der Musikscore. Und statt eines wissenschaftlichen Kommentars bietet Cult Epics einen Kommentar des Filmemachers Kenneth Anger, der Genets Film seit den 1950er Jahren kennt und viele Details dazu erinnert. Von daher ist die Cult Epics-DVD eindeutig die aufregendere Wahl.

Marcus Stiglegger