GEWALT UND LEIDENSCHAFT

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Originaltitel: Gruppo di famiglia in un interno
Label: Koch Media
Produktionsjahr : 1974
Produktionsland: Italien/Frankreich
FSK: ab 16
Lauflänge: ca. 117 Min.
Erscheinungsjahr: 2009 (Amaray-Ausgabe „Der besondere Film“)
Regie: Luchino Visconti
Bild: 2.35:1 (anamorph 16:9)
Sprachen/Ton: Deutsch, Italienisch, Englisch
Extras: Exklusiv produziertes Interview mit Helmut Berger (ca. 25 Minuten),
Deutscher, italienischer Kinotrailer,
Bildergalerie

„Gewalt und Leidenschaft“, Luchino Viscontis vorletzter Film, den der große Regisseur 1974 bereits körperlich sehr angeschlagen realisierte, liegt in dieser Edition „Der besondere Film“ von Koch Media in einer würdigen DVD-Ausgabe vor. Die bislang längste in Deutschland erhältliche Fassung des Films zeichnet sich, wie von Koch nicht anders gewohnt, durch eine sehr zufriedenstellende Restauration des Filmbilds, das nun endlich im korrekten Format erscheint, und einen auf Dolby Digital aufgearbeiteten, gut klingenden Ton aus. Das Wiederhinzufügen einer vormals entfernten Szene ist natürlich zusätzlich ein besonderer Anreiz zum Erwerb dieser Publikation.

Ein alter amerikanischer Kunstwissenschaftler lebt in sich gekehrt und zurückgezogen in einem palastartigen Haus in Rom. Eines Tages vermietet er einen Teil des Gebäudes an die leichtlebige Gräfin Brumonti, ihren jungen Geliebten Huebel, ihre Tochter Lietta und deren Verlobten Stefano. Schon bald sieht sich der Professor durch das jugendliche, wilde Leben in seiner Nähe mit wiedererwachenden Erinnerungen und Emotionen konfrontiert. Vor allem der rebellische Konrad Huebel, der durch sein Verhalten und sein ungezügeltes Leben das direkte Gegenteil zur bürgerlichen Biographie des Professors darstellt, fasziniert ihn zunehmend.

Thematisch bewegt sich „Gewalt und Leidenschaft“ auf einer ähnlichen Ebene wie Viscontis drei Jahre zuvor entstandener Film „Der Tod in Venedig“. Doch anders als in der Adaption der Mannschen Novelle erweist sich in „Gewalt und Leidenschaft“ die Begegnung des alten Professors mit dem jungen, leidenschaftlichen Huebel als weniger idealistisch. Es handelt sich um ein zunächst vordergründiges Treffen von scheinbar gegensätzlichen Generationen, durch das jedoch der Professor sein bisheriges Leben (im Film durch Erinnerungsrückblenden an seine Frau und seine Mutter dargestellt) Revue passieren lässt. In diesem Zusammenhang werden ihm seine Versäumnisse und nie wiederkehrenden Gelegenheiten im Leben bewusst. Im Laufe der Handlung beginnt er seine neuen Bekanntschaften als eine Art Ersatzfamilie und als Errettung aus seiner Einsamkeit zu begreifen. Das Verhältnis zwischen dem Professor und Huebel ist durch ein gegenseitiges Geben und Nehmen gekennzeichnet und verweist, - wenngleich auch unverkennbar homoerotisch konnotiert -, auf eine Vater-Sohn-Beziehung, deren Entwicklung im Focus der Konstellation steht.

Unter diesem Aspekt schlägt der Film eine Brücke zur Beziehung Viscontis zum Darsteller des Konrad Huebel, seinem weitaus jüngeren Lebensgefährten Helmut Berger, mit dem er drei gemeinsame Filme realisierte. Berger selbst kommt in dem etwa 25-minütigen, speziell für das Bonusmaterial dieser DVD produzierten Interview ebenfalls auf sein sowohl berufliches als auch privates Verhältnis zu Visconti zu sprechen. Neben kurzen Anekdoten über andere Regisseure und Schauspielerkollegen schlägt er den Bogen immer wieder zurück auf den „Meister“, wie er ihn selbst bezeichnet. Neben dem Standardprogramm von Extra-Features, bestehend aus einer Bildergalerie mit verschiedenen Plakat- und Setmotiven und dem deutschen und italienischen Kinotrailer, bieten diese aktuellen Stellungnahmen eine kurze, aber interessante Retrospektive auf die Karriere Helmut Bergers, die mit den Arbeiten Viscontis eng verwurzelt ist.

Stand das Alterswerk „Gewalt und Leidenschaft“ lange Zeit im Schatten der früheren großen Filme Vicontis wie „Ossessione“, „La terra trema“, „Rocco und seine Brüder“, „Il gattopardo“, „Die Verdammten“ oder „Ludwig II.“, könnte sich dies mit dieser DVD-Ausgabe ändern. Koch Media erweist sich einmal mehr als Garant für gewissenhaft betriebene Restauration von wichtigen Filmen mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Cineasten und Anhänger des anspruchsvollen italienischen Kinos liegen bei dieser Veröffentlichung absolut richtig.

Kai Naumann