Horrorentertainment

Hörspiel von Jörg Buttgereit:
Länge: 52 Minuten, 21 Sekunden
Erstaufführung: 7. Juni 2004, 23:05 Uhr, WDR 3 Radio

Jörg Buttgereit (Foto: Stiglegger)

Mit Filmen wie SCHRAMM und vor allem den beiden NEKROMANTIK-Teilen wurde Jörg Buttgereit bekannt. Eine große Fan-Gemeinde verehrt diese Werke. Doch Buttgereit ist mehr als nur Filmemacher. Er tritt auch als DJ auf, schreibt Hörspiele und ist Filmvorführer im Berliner Schwulenkino „Xenon“. Sein neuestes Projekt mit dem Namen „Horrorentertainment“ ist ein dokumentarisches Hörspiel, bei dem die Wirkung filmischer Gewalt auf den Kinobesucher im Mittelpunkt steht.

Fünf Personen, alle um das Jahr 1970 geboren, nehmen an einem Versuch teil. Ihnen werden in einem Kino sechs Sequenzen aus Kunst- und Horrorfilmen vorgeführt. Jeweils ein Proband sieht sich alleine eine Sequenz an (dabei steht es ihm frei, sich den Bildern zu entziehen und den Kinosaal zu verlassen) und schildert direkt im Anschluss seine jeweiligen Eindrücke. Buttgereit wählte sehr markante Beispiele aus unterschiedlichen zeitlichen Perioden aus.

Chronologisch verfahrend beginnt er mit der Sequenz des durchschnittenen Auges aus UN CHIEN ANDALOU von Luis Bunuel und Salvador Dalí aus dem Jahr 1924. Anschließend werden die VersuchsteilnehmerInnen mit der Duschmordszene aus Alfred Hitchcocks PSYCHO (1960) konfrontiert. Die anderen gewalthaltigen Sequenzen, welche die Probanden zu sehen bekommen, sind die Ermordung der badenden Frau aus BLOOD FEAST von Herschell Gordon Lewis (1962), das Eindringen der „Droogs“ in das Haus des Schriftstellerehepaars in A CLOCKWORK ORANGE von Stanley Kubrick (1971), das Entzweien des Körpers von Captain Rhodes aus DAY OF THE DEAD von George Andrew Romero (1985) und die Vergewaltigung Monica Belluccis in IRRÉVERSIBLE (siehe Buttgereits Rezension in Ikonen Nr. 3) von Gaspar Noé (2002). Im Hörspiel stellt ein Sprecher den jeweiligen Film kurz vor. Anschließend schildern die VersuchsteilnehmerInnen ihre Gefühle und Meinungen. Als Hintergrund lässt Buttgereit den Original-Soundtrack der Filme laufen und schneidet ab und zu kuriose Auszüge aus Horrorfilm-Trailern dazwischen. Diese lockern die Aneinanderreihung der Aussagen auf und zwinkern dem „Gewaltkino“ ironisch zu („Was sie in diesem neuesten Kannibalen-Schocker sehen, ist so pervers, dass man es nicht mehr beschreiben kann.“ – Auszug aus dem Trailer zu CANNIBAL FEROX von Umberto Lenzi (1981)).

Da die fünf teilnehmenden Personen unterschiedlichen Berufsgruppen angehören (neben „Experten“ aus dem Bereich Film- und Kulturwissenschaft gibt es beispielsweise auch einen Architekten), ergeben sich unterschiedliche Aussagen zu den einzelnen Filmbeispielen. Der Hörer erfährt von den Filmwissenschaftlern interessante und fundierte Erkenntnisse, die sehr detailliert und analytisch sind. Die ohne den wissenschaftlichen Hintergrund argumentierenden Filmlaien gehen bei ihren Ausführungen eher auf ihre Emotionen ein, also auf die direkte Wirkung des Gesehenen. So entstehen interessante Betrachtungswinkel in der Summe der Schilderungen. Die Statements bündeln sich aber homogen in der Aussage, dass die gezeigten Sequenzen nicht Gewalt verherrlichend oder verharmlosend sind und deshalb nicht zensiert werden sollten (so wie bei DAY OF THE DEAD und seit Januar 2004 auch bei BLOOD FEAST in Deutschland geschehen). Es ist wichtig, die Gewalt im Kontext des kompletten Films zu betrachten und erst dann zu prüfen, ob die jeweilige Darstellung angemessen ist, oder zensuriert werden muss.

Jörg Buttgereits Hörspiel „Horrorentertainment“ ist eine Synthese aus filmgeschichtlicher Informationsvermittlung und Medienwirkungsforschung. Seine ironischen Kommentare mit Trailereinspielungen und Warnhinweisen untermalen die wissenschaftlichen und emotionalen Aussagen der Probanden. Die unterschiedlich ausgeprägte filmische Bildung der Teilnehmer macht dieses Hörspiel abwechslungsreich und interessant, da sowohl Fakten zu den einzelnen Filmen als auch Emotionen und Eindrücke, die beim Betrachten der Beispielsequenzen entstanden sind, vermittelt werden.

Für die nähere Beschäftigung mit Jörg Buttgereit sei der Artikel „Berliner Aktionismus – ein Gespräch mit dem Filmemacher Jörg Buttgereit“ in Ikonen. Nr. 4, S. 31 – 35 empfohlen.

Christian Seifert