Rezensionen zu :Ikonen:

Kai Mihm für epd Film 12/2004

Von Werner Herzog zu Londons Fetisch-Szene: Das Kulturmagazin "Ikonen"

Es ist noch nicht allzu lange her, da konnte man die regelmäßig erscheinenden, lesenswerten Filmzeitschriften des deutschsprachigen Raums an einer Hand abzählen. Und Publikationen, die sich den Randbereichen des Kinos widmeten, gab es außer der exzellenten "Splatting Image" schon gar nicht.
Das Ende 2002 gegründete, halbjährlich erscheinende Magazin "Ikonen" kann daher nur als Bereicherung der film-, oder besser: kulturpuplizistischen Landschaft betrachtet werden. Herausgegeben von dem Mainzer Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger befasst sich das Heft mit Kunst, Kultur und alternativen Lebensstilen - im Klartext heisst das: Ein Text von Peter Sloterdijk über Cioran hat ebenso Raum wie ein Report über die Londoner Fetisch-Szene, eine Hommage an Werner Herzog, ein Essay über Paul Schraders "Mishima", ein Nachruf auf Johnny Cash oder ein Interview mit einer japanischen Bondage-Diva. Die Themen sind, man merkt es, mit einer gewissen Vorliebe fürs Morbide ausgewählt; auch unkonventionelle sexuelle Spielarten werden gerne näher betrachtet. Aber das Schöne an den Texten ist gerade die stilistische Gratwanderung zwischen persönlich gefärbten Beobachtungen auf der einen und sachlicher Analyse auf der anderen Seite. Ein "Fanzine" ist "Ikonen" sicher nicht. Nach nunmehr vier Ausgaben lässt sich sagen, dass das Heft seinen ganz eigenen Stil und einen festen Platz in der Zeitschriften-Szene gefunden hat. Das ist gut so, denn "Ikonen" dringt in thematische Bereiche vor, in die sich selbst anspruchsvolle deutsche Filmzeitschriften (leider) noch kaum vorwagen.

*

Christian Fuchs auf http://fm4.orf.at/fuchs/

Ikonografie des Exzessiven und Entgrenzten

Im Impressum von 'Splatting Image' findet sich auch der Autor Markus (sic!)Stiglegger, der sozusagen auf die körperlichen Aspekte des Kinos abonniert ist. Auf Amokläufe und Exzesse und sexuelle Ausnahmezustände. Siehe die ekstatische Raserei der Liebenden in den Werken des großartigen Exilpolen Andrzeij Zulawski. Oder die Verschmelzung von Fleisch und Metall in den filmischen Experimenten von Shinja Tsukamoto ('Tetsuo'). Auch empfehlenswerte Filmbücher gehen auf das Konto Stigleggers, hinter dessen leidenschaftlicher Sprache ich nicht sofort einen Wissenschaftler vermutet hätte. Aber der Herr Doktor, der an der Uni Mainz arbeitet, dürfte auch einer der wenigen Dozenten in Deutschland mit aktivem Interesse an Fetish-Clubs, Body-Modification und Industrial Culture sein.

Mit dem 'Ikonenmagazin', das sowohl zweimal pro Jahr als Printausgabe erscheint wie als Netzzeitschrift laufend erweitert wird, hat Markus Stiglegger vor einiger Zeit eine Plattform für seine Interessen gegründet. Wobei Film einen großen Teil einnimmt, sich das mehrköpfige Team aber auch Musik und Literatur widmet. Genauer gesagt: den Schattenzonen zwischen Noise-Terroristen und Bondage-Künstlerinnen, Fassbinderstreifen und kontroversen Büchern von Houellebecq, Burroughs oder Bataille. Erlebnisberichte von den Londoner 'Torture Garden'-S&M-Parties inklusive.

Trotz offensichtlichem Gothic-Einschlag, den die Ikonen-Macher gar nicht verleugnen, ist das "Magazin für Kunst, Kultur und Lebensart" alles andere als eine weitere Postille für die einschlägige Schwarzkittel-Szene. Ähnlich wie in 'Splatting Image', nur auf entschieden seriösere Weise, geht es schlicht um unterschlagene Gebiete, Werke, Personen. Um kritische Ansätze zu scheinbar abgehakten Bereichen. Um die Outer Limits der Wahrnehmung. Um Ausnahmezustände. Da, wo sich etwa das entgrenzte Kino mit dem entgrenzten Leben trifft. Turn on, tune in, Film ab.

Ekkehard Knörer auf www.jump-cut.de

:ikonen: Zeischrift (sic!) für Kunst, Kultur und Lebensart
Ein Lektüreeindruck von Ekkehard Knörer

Eine neue Filmzeitschrift ist anzukündigen, soeben in zweiter Ausgabe erschienen (ich habe freilich die erste vor mir), das Magazin "Ikonen", oder, typografisch präziser :ikonen. Ist aber schon falsch, diese Ankündigung, denn der erste Blick, nämlich auf den Untertitel, stellt klar: "Zeitschrift für Kunst, Kultur und Lebensart". Von Film keine Rede, nicht ausdrücklich jedenfalls, wenngleich der Herausgeber Marcus Stiglegger Filmwissenschaftler ist, in Mainz und wenngleich das Motto des ersten Editorials von Jacques Rivette stammt, mit dem man hier den Mund, wie soll man sagen, halb voll nimmt: "Die einzige Rechtfertigung der Kunst ist zu versuchen, sich selbst, der man etwas macht, und die Leute, die es sehen, etwas weniger blind, etwas weniger taub, etwas weniger dumm zu machen."
Ein Zug ins Didaktische weht einen dann auf der Homepage an, wenn es ausdrücklich heißt, man sehe seine Aufgabe darin, "komplexe künstlerische und kulturelle Zusammenhänge einem aufgeschlossenen Publikum verständlich zu vermitteln." Klingt ein wenig nach von der Bundeszentrale für politische Bildung gesponserter Pädagogik und vielleicht liegt man gar nicht so falsch, wenn man bedenkt, dass justament diese Institution die kürzlich in Berlin stattgefundene Tagung "Bodies that Splatter" mitfinanzierte, auf der :ikonen:-Herausgeber Stiglegger über Pasolinis "Salo" sprach und andere Filme, die an Grenzen des Erträglichen gehen (mit der manchen Nicht-Fan im Publikum etwas irritierenden Frage, woher die Lust am Splatter stammt.) Die "komplexen künsterlischen und kulturellen Zusammenhänge", um die es nun in :ikonen: geht, haben mit Extremerfahrungen zu tun, oder dem, was der Mainstream dafür hält, im ersten Heft jedenfalls, in Artikeln zu "Sadomasochismus als Lebensart" ebenso wie in Wolfgang Sternecks Einblicke in die "Industrial Culture" oder im Gespräch mit David Wood vom Londoner Fetischclub Torture Garden.

Ausführlichere Analysen sind Nicolas Roegs "The Man Who Fell to Earth" gewidmet oder Pedro Almodóvars Stierkampf-Film "Matador". Carsten Bergemanns Roeg-Text hat, leider, eher Seminararbeit-Charakter, Sätze wie: "Roegs Bestandsaufnahme einer gesellschaftlichen Befindlichkeit, in einem postmodernen und spätkapitalistischen Zeitalter ist sicher von einem kritischen Standpunkt geprägt" gehören noch zu den harmloseren, denn wie der "Wertverlust des Zeichens" mit der Idee "magischer" Bilder vereinbar ist, die "auf die Befindlichkeit des Zuschauers direkt einwirken", bleibt eher unerfindlich und es sind dies nicht die einzigen Bröcken Theorie, die einem hier, recht unsortiert, um die Ohren fliegen. Marcus Stigleggers "Matador"-Interpretation ist in sich gewiss schlüssiger, liest freilich Almodóvars ganz gewiss nicht unironische Stierkampf-Variation mit einer mitunter verblüffenden Ernsthaftigkeit und, wie es scheint, ganz ungebrochenem Hang zum Thanatos-cum-Bataille-Kitsch.

An der Idee, dass Wissenschaft auf der Suche nach verständlicher Vermittlung eine Sache heiligen Ernstes ist, kranken auch der an sich sehr interessante, weil informative Artikel zur Industrial Culture wie das Gespräch mit David Wood. Keine Lust, aber in jedem Fall die Lektüre wert sind die Rezensionen, die ein Spektrum von Alain Robbe-Grillet bis Chris Ware, von Aphex Twin bis Michel Houellebecq, von Andrej Zulawskis Film "La Fidelité" (2000) bis zu Takashi Miikes "Audition" (2000) natürlich nicht abdecken, aber - für weitere Ausgaben viel versprechend - markieren. Auch hier dominiert die Freude am Extremen in unterschiedlicher Gestalt, eine offenkundige Abneigung gegen das Juste-Milieu des Mainstreams. Dagegen ist nun, weiß Gott, nichts zu sagen. Etwas anstrengend freilich die vielleicht kompensatorische, jedenfalls stets humorlose Strenge, mit der hier, um es nochmal in den treffenden Worten der Homepage zu sagen, "komplexe künstlerische und kulturelle Zusammenhänge" vermittelt werden.