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In My Skin
5 / 5 Sterne (nur Film)
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Durch meinen Körper bin ich
in der Welt, die mich mit anderen verbindet. Wenn ich nicht länger
mein Körper bin, was bin ich dann? Woher kommt der Wunsch erfahren
zu wollen, was der Körper ist und ob ich 'in ihm’ bin?
Marina de Van
Marina de Van – Schauspielerin, Drehbuchautorin und
Filmemacherin – in ihr entdeckte der erfolgreiche französische
auteur Francois Ozon eine Geistesverwandte: „Es war so, als wäre
ich meinem weiblichen Double begegnet.“ Für Ozon schrieb de
Van 8 FRAUEN (2002) und UNTER DEM SAND (2001), für ihn spielte sie
in SITCOM (1998) und REGARDE LA MER (1997). Nach fünf Kurzfilmen,
die u.a. noch an der Filmhochschule FEMIS, Paris, entstanden und weltweit
preisgekrönt wurden, schrieb, inszenierte und spielte sie ihren ersten
eigenen Spielfilm: IN MY SKIN (2002).
Die etwa dreißigjährige Esther (Marina de Van)
arbeitet tagsüber in einem Büro und amüsiert sich in ihrer
Freizeit mit ihren Freundinnen bzw. trifft ihren Lebensgefährten
(Laurent Lucas), mit dem sie ein zärtliches Verhältnis verbindet.
Als sie während einer nächtlichen Party im Dunkeln stürzt,
merkt sie nicht sofort, dass sie sich bei diesem Unfall eine tiefe Fleischwunde
zugezogen hat. Später erkundet sie diese neue Körperöffnung
voller Neugier und begibt sich viel zu spät zum Arzt. Statt ihre
Wunde heilen zu lassen, beginnt sie, diese zu erkunden, immer wieder zu
öffnen und verspürt schließlich das Bedürfnis, sich
selbst neue Wunden zuzufügen. Als ihr Freund und ihre Kolleginnen
Esthers neue Leidenschaft bemerken, reagieren sie mit Schrecken und Befremden.
Die junge Frau versinkt immer tiefer in der Welt ihrer Obsessionen...
Der Film lässt uns diese Reise in monochromen, stilisierten Bildern
begleiten, entfaltet zunehmend ein mögliches Horrorszenario als subtile
Charakterstudie, als Annäherung an einen sich selbst fremden Menschen
in ungewohnter Intensität.
In gewisser Hinsicht ist IN MY SKIN ein erotischer Film,
mit der Abweichung von der filmischen Konvention – die den Körper
zunächst Objekt des Begehrens inszeniert –, dass die Protagonistin
ihren Körper zunächst einmal als 'Material’ sieht. Als
fühle sie sich losgekoppelt von ihren Gliedmaßen, erobert sie
diese nach und nach zurück: im Schmerz, in der Verwundung, aber auch
in der Präservation: sie schneidet nicht nur Teile aus sich heraus,
sie beginnt auch, sie zu sammeln und nach Möglichkeiten zu recherchieren,
diese Hautfetzen zu erhalten. Die Filmemacherin Marina de Van bezieht
diese Entfremdung von ihrem eigenen Körper auf einen Unfall in ihrer
Kindheit, als sie von einem Auto angefahren worden war. Ein Teil ihres
Knochens war abgesplittert und wurde nicht wieder gefunden. Ihre kindliche
Imagination musste sich mit dem Phänomen auseinandersetzen, dass
ein Teil von ihr „in den Müll geworfen worden war“. Später
schob sie in Gegenwart ihrer Freunde Nadeln in das gefühllose Narbengewebe...
IN MY SKIN ist nach Filmen wie CRASH (1996) von David Cronenberg
und ROMANCE (1998) von Cathérine Breillat ein weiterer kinematographischer
Versuch, den Körper innerhalb einer dem Physischen entfremdeten,
mehr und mehr virtuellen Kultur zurückzugewinnen. Das alltägliche
Leben hat die Verbindung zu primären Instinkten und Empfindungen
weitgehend verdrängt. So erleben wir auch die Protagonistin als eine
Art workaholic, völlig aus der Bahn geworfen von dem Erlebnis, dem
eigenen Fleisch plötzlich so nah zu sein wie im Moment der Verwundung.
Für kurze Zeit gelingt es ihr also, sich ihrem Körper im Schmerzerleben
zu nähern, doch de Vans Film geht weiter: Esthers Beziehung zu ihren
Extremitäten bleibt ambivalent. Unter dem Einfluss von Alkohol scheint
sich die Kluft noch zu vertiefen: in einem Restaurant sieht sie ihre Hand
abgeschnitten – und doch lebendig – vor sich auf dem Tisch
liegen. Das Drama entwickelt sich in dieser Schlüsselszene vor allem
anhand der Tatsache, dass Esther ihre Empfindungen, ihr Entfremden von
sich selbst, nicht mitteilen kann. Sie zieht sich folglich immer tiefer
in eine eigene, hermetische Vorstellungswelt zurück, in der sie ihrem
Körper immer drastischer zusetzt.
Als sich Esther in die Abgeschlossenheit eines anonymen Hotelzimmers zurückzieht,
um noch einen Schritt weiter zu gehen, zieht uns IN MY SKIN ganz in diesen
fatalen Strudel der Autodestruktion hinein und offenbart so die eigentliche
Metaebene des Films: Marina de Van erzählt uns letztlich von der
hoffnungslosen Subjektivität, jener Einsamkeit des Selbst, in die
uns die Industrie- und Konsumgesellschaft an ihrem vorläufigen Endpunkt
gestoßen hat. Insofern erleben wir in Esthers blutigen Selbsterkundungen
auch weniger eine Form der Autosexualität als vielmehr der Autosensualität
– das unterscheidet de Vans Film von Cronenbergs und Breillats Konzepten
– auch wenn das Körperbild des Films auf dieser Ebene eine
morbid-erotische Qualität erreichen mag.
IN MY SKIN in jener neuen Generation europäischer
Autorenfilmer zuzurechnen, die die spezifische Medialität des Kinos
nutzen, um sich philosophischen Fragestellungen zu nähern und ein
episch-narratives allmählich zu verabschieden. Gaspar Noé
versuchte das mit IRREVERSIBEL (2002), Bruno Dumont mit TWENTYNINE PALMS
(2003), Cathérine Breillat mit ANATOMIE DE L’ENFER (2004).
Wer sich dieser sinnlichen Herausforderung stellen möchte kann IN
MY SKIN inzwischen als britische DVD (Tartan) erstehen. Eine deutsche
Veröffentlichung bei Legend Films ist in Planung.
Marcus Stiglegger
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