Jonathan

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Originaltitel: Jonathan
Label: Arthaus
Genre: Drama, Horror
Produktionsjahr: 1970
Produktionsland: Deutschland
Kinostart: 15.05.1970
FSK 16
Lauflänge: ca. 97 Minuten
Regie: Hans W. Geißendörfer
Drehbuch: Hans W. Geißendörfer
Kamera: Robby Müller
Produktion: Hellmut Haffner
Technische Angaben
Bild: 1,33:1
Sprachen/Ton: Deutsch (Mono Dolby Digital)
Extras: Interview mit Hans W. Geißendörfer, Biografie Hans W. Geißendörfer, Presseheft als PDF, Fotogalerie, Trailer

Wer Hans W. Geißendörfer vor allem als Produzenten der Serie LINDENSTRASSE kennt, wird vermutlich erstaunt sein, in diesem Frühwerk JONATHAN eine veritable Gothic-Horror-Adaption von Bram Stokers "Dracula"-Stoff zu erkennen. Doch die Beschäftigung mit dem Genre war damals Programm, und JONATHAN wurde sogar zu einem kleinen Erfolg in den Kinos. Dabei erscheint der Film heute umso erstaunlicher und fremder als zur Zeit seiner Entstehung.

In einem abgelegenen Schloss werden Mitte des 19. Jahrhunderts Menschen von einem totalitär agierenden Vampirgrafen und seiner Gefolgschaft unterdrückt und gefangen gehalten. Das Umland leidet unter der Unterdrückung durch die mordlustigen Blutsauger, die das Volk buchstäblich ausbluten, um sich davon zu ernähren. Einige mutige Studenten und ihr Professor beschließen, diesem Terrorregime ein Ende zu bereiten. Der junge Jonathan wird als Vorhut ausgesandt, um das Schloss der Untoten für einen Angriff auszuspäh, doch er wird bereits erwartet. Er muss die blutigen Rituale der in schwarz, weiß und rote Gewänder gehüllten Vampire bezuegen, bis eine brutale revolte die Verhältnisse klärt.

Der Film ist vielschichtig zu lesen und bietet u.a. einen Kommentar auf den blutsaugerischen Kapitalismus, der sich vom einfachen Volk ernährt und in einer Revolution überwunden werden muss. Zugleich erzählt er vom Aufbegehren der 68er-Bewegung gegen die etablierten Verhältnisse. Doch stets finden sich Brüche, auf die Geißendörfer in dem exklusiven Interview der DVD hinweist: Die Opfer selbst nötigen z.B. ein junges Paar, endlos vor ihren Augen zu kopulieren - ein bitterer Kommentar auf das Kommunenleben jener Jahre.

Ästhetisch erscheinen die Bilder ungewöhnlich und dicht, erinnern an die Bildwelt von Michael Reeves' DER HEXENJÄGER (1968), der ebenfalls eine etwas anachronistische Folkmusik einsetzt (und damit die direkten Bezüge zur Gegenwart betont). Robby Müllers Kamera glänzt gleich zu Beginn mit einer atemberaubenden Plansequenz. Die Schlachtszenen erscheinen dann ebenso apokalyptisch wie Patrice Chéreaus DIE BARTHOLOMÄUSNACHT. Hier ist JONATHAN erschreckend und schön zugleich. Der Regisseur erwähnt eine blutigere Fassung für den japanischen Verleih, die hier aber leider nicht vorliegt. Dort habe man die Dimension des Grand Guignol Theaters erreicht. Zugleich betont Geißendörfer, dass man die 'toten' Tiere alle nur betäubt hätte - in der Folterszene wird jedoch deutlich sichtbar eine lebende Ratte zertrampelt...

JONATHAN wurde mit dem Filmband in Gold für die Beste Nachwuchsregie ausgezeichnet und kann heute als eines der interessantesten Werke des sperrigen Filmemachers bezeichnet werden. Es ist sehr erfreulich, diesen in gestochen scharfen 4:3-Bildern komponierten Film in einer angemessenen Edition neu sehen zu können. Ein Geheimtip für Fans des neuen deutschen Films, des Gothic Horrors und surrealer Politparabeln zugleich.

Marcus Stiglegger