Michael Moynihan und Didrik Söderlind

Lords of Chaos
Satanischer Metal: Der blutige Aufstieg aus dem Untergrund

Prophecy 2002, 413 Seiten, zahlreiche Abb.
ISBN 3-936878-00-5

Die radikale nordische Heidenszene ist fasziniert vom Lex Talionis, dem „Recht des Stärkeren“. Gerne wird Nietzsches Absage an das Christentum in "Der Antichrist" (1895) herbei zitiert: „Was ist gut? – Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht. Was ist schlecht? – Alles, was aus der Schwäche stammt...“ Peter H. Gilmore, derzeit Oberhaupt der „Church of Satan“ beruft sich darauf ebenso wie Ian Read, Mitgründer der „Illuminaten von Thanateros“ (IOT). Und auch der amerikanische Musiker und Publizist Michael Moynihan hat bekanntlich eine Schwäche für die 'Men of Iron‘. Diese Schwäche dürfte ihn auch ins finstere Norwegen getrieben haben, um dort für die nun in deutscher Sprache vorliegende Arbeit zu recherchieren, mit der er die dortige gewaltbereite Black-Metal-Szene anhand ihrer berüchtigten Protagonisten untersucht. Ein beklemmende Welt meist behüteter Bürgersöhne auf massiven Abwegen tut sich hier auf: Über fünfzig Kirchenbrandstiftungen, Grabschändungen, Gewaltaufrufe und letztlich einige Morde sind das Resultat einer extremen Musikszene, die sich in ihrem Wahn, immer radikalere Misanthropie zu demonstrieren, gegenseitig anstachelte. Den Geist brandschatzender Wikinger meinten die Autoren hier zu spüren, doch die tiefgehenden Interviews mit Tätern, Freunden, Verwandten und Ermittlern zeichnen das Bild einer erschreckenden sozialen Desorientierung. Prototypisch mag hier der Mörder und Brandstifter Varg Vikernes von der Band Burzum stehen, dessen Porträt den Hauptteil des Buches ausmacht. An ihm zeigt sich auch die langfristige Nachwirkung der misanthropen Akte: Ein explizite Hinwendung zu Nationalsozialismus und Rassismus. Vergleichbare Tendenzen zeigt auch der deutsche Mörder Hendrik Möbus von der Band Absurd.

Das Buch geht bei der Beschäftigung mit diesen abgründigen Charakteren sehr intensiv vor. Die einleitenden Kapitel versorgen mit dem nötigen musikalischen und szenespezifischen Wissen, dann folgt eine komplexe Montage verschiedenster Perspektiven und Interviewpassagen, die ein möglichst vielschichtiges Bild des Geschehens vermitteln. Die deutsche Ausgabe ist um einige Texte und kundige Erläuterungen ergänzt, lohnt sich also auch für Besitzer der amerikanischen Originalausgabe (wobei Kadmons Text „Oskorei“, S. 395ff., in seiner Interpretation der Black Metaller als späte Erben von Odins „Wilder Jagd“ einer etwas euphemistischen Affirmation nahekommt). Auffällig ist, dass die Autoren ihre Interviewpartner nie unterbrechen oder kritisieren, selbst angesichts der drastischsten Aussagen, was zu einer erstaunlichen Offenheit führt. Insofern ist es fast bewundernswert, wie tief sie sich in die Welt von Mord und Vanadalismus begaben, geben sie doch zu: „...die Verwirrung der jugendlichen Black Metal-Rebellen färbt unweigerlich auf jeden ab, der versucht, sie zu verstehen“ (S. 155). Vikernes leitete den Bandnamen Burzum übrigens aus Tolkiens Herr der Ring ab und liefert auf S. 173 endgültig die rechtsextreme Lesart dieses Romans (und Kinofilms): „Wir fühlten uns von Sauron [...] angezogen, nicht von den Hobbits, diesen dämlichen kleinen Zwergen. Ich hasse Zwerge und Elben. Die Elben sind hübsch, aber typisch jüdisch – arrogant, indem sie sagen: 'Wir sind die Auserwählten‘. [...] die Uruk-Hai sind wie Ulfhedhnar, die Wolfsfelle. Das wölfische Element ist typisch heidnisch. [...] In erster Linie mochte ich das Buch aus diesem Grund, wegen seiner verschleierten, verborgenen Mythologie.“ Natürlich erfordert ein Buch wie Lords of Chaos, das im klassischen Sinne als aufklärender Journalismus funktioniert, einen reifen Leser, der nicht für die destruktive Binnenlogik der radikalen Aussagen anfällig ist.

Die begleitend erschienene Doppel-CD (Prophecy Rec.) bietet einen erhellenden Einblick in die Welt okkulter Rockmusik und enthält einige seltene Überraschungen: einen Crowley-Vortrag, mehrere Stück des „Church of Satan“-Gründers Anton LaVey, den kompletten Soundtrack zu Kenneth Angers INVOCATION OF MY DEMON BROTHER von Mick Jagger und natürlich viel Metal-Musik von Black Sabbath, Venom, Bathory, Emperor, Ulver usw. Sehr positiv fallen auch hier die sorgfältig recherchierten Linernotes im dicken Booklet auf. Wer sich also mit dieser extremen Subkultur auseinandersetzen möchte, ist mit Buch und CD sehr gut bedient.

Christoph Donarski