DER MANN MIT DER NARBE

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Regie Steve Sekely
Darsteller Paul Henreid
Joan Bennett
Eduard Franz u.a.
Genre Thriller
Filmlänge ca. 80 min
Sprachen Deutsch, Englisch
Untertitel
Produktion USA 1948
Tonformat Dolby Digital 2.0
Bildformat 1.37:1 (4:3)
FSK ab 16
Extras Booklet, Bildergalerie mit seltenem Werbematerial
Im Handel ab 25.11.2011

Der achte Teil der von Koch Media herausgegebenen Film Noir Collection setzt das substanzielle Niveau seiner Vorgänger fort. DER MANN MIT DER NARBE zählt zu den etwas weniger bekannten Vertretern seiner Art, wird aber bei Fans der Schwarzen Serie zweifellos auf Interesse und Beliebtheit stoßen. Auch zeugt eine solche Auswahl seitens der Herausgeber von Kenntnisreichtum und filmhistorischer Umsicht. Neben der deutschen Synchron- und der englischen Originaltonspur sind eine digitale Bildergalerie sowie ein 12-seitiges Booklet enthalten.

Ein Gefängnisangestellter und sein Vorgesetzter betrachten die Akte eines Häftlings: „John Muller - Eltern verstorben, […] kam selber für sein Studium auf. Zwei Jahre Medizinstudium, Spezialgebiet Psychiatrie. […] praktizierte als Psychoanalytiker ohne Zulassung –freigesprochen aus Mangel an Beweisen; verkaufte Aktien von nicht vorhandenen Ölquellen – freigesprochen; bewohnte eine Hotelsuite, warf mit Geld um sich, verhaftet wegen Raub von Lohngeldern – für schuldig befunden - verurteilt.“

Die Eingangsszene macht unmittelbar mit dem Charakter des Protagonisten vertraut und die durch die Figuren implizite Faszination und Achtung, die sich ihrer eigentlichen Skepsis und Ablehnung beimischen, übertragen sich bereits in diesen ersten Minuten auf den Zuschauer.

CASABLANCA-Star Paul Henreid spielt besagten Muller, der zu Beginn des Films - mit dem Angebot, mittels schlecht bezahltem, aber bodenständigem Job ein normales und ordentliches Leben zu führen - aus seiner Haftstrafe entlassen wird. Henreid verleiht seiner Figur die nötige Überzeugung und ambivalente Anziehungskraft eines negativen Helden, die das Interesse des Zuschauers ansprechen und schafft es, diese den gesamten Film durch aufrecht zu erhalten.

Muller verliert keinen Gedanken an die Möglichkeit eines biederen Lifestyles und überfällt stattdessen mit seiner alten Gang ein Casino des rachsüchtigen Rocky Stansyck. Nach gescheiterter Tat, greift Muller gezwungenermaßen auf das Jobangebot zurück und hofft, sich in der Unscheinbarkeit eines Kleinbürgers vor seinen Häschern zu verstecken. Mit pikanter Ironie inszeniert Steve Sekely, den von sichtlicher Abscheu begleiteten Versuch eines Noir-Antihelden, sich durch den spießigen Alltag eines 'Nine-to-Five-Jobs‘ zu quälen, um seinen Verfolgern zu entkommen.

Nach einiger Zeit und mit zunehmender Bedrängnis zweier Berufskiller offenbart sich für Muller eine scheinbar endgültige Erlösung in Gestalt des Psychiaters Dr. Bartok (ebenfalls Henreid). Dieser entspricht Mullers exaktem Spiegelbild, lediglich eine Narbe im Gesicht des Arztes markiert den Unterschied. Muller entschließt sich, Bartok zu töten und dessen Identität anzunehmen.

Hier wird die allegorische (und für die Noir-Ära nicht seltene) Komponente der Schicksalsflucht und Verkettung deutlich und der damit einhergehenden Flucht vor sich selbst, vor seinem Inneren und vor seiner Persönlichkeit.

Durch einen unglücklichen Umstand fügt sich Muller die Narbe an der falschen Wange zu, es gelingt ihm jedoch sowohl im Umgang mit zwei Frauen aus Bartoks Privatleben als auch im Kontakt mit dessen Patienten die Maskerade aufrecht zu erhalten.

Dies zwingt ihn in ein allumfassendes Lügenkonstrukt, durch das er sowohl seinen Bruder, jedoch vor allem auch sich selbst verleugnen muss. Motive des Doppelgängers und Brudermord werden hier auf verschiedener Ebene verwoben.

Sekely und sein Kameramann John Alton unterstreichen dies durch eine dem klassischen Noir zugehörige, hier ausgiebig und weites gehend effektiv eingesetzte Low-Key-Beleuchtung und eine kontrastierende Schwarzweiß-Fotografie.

Bedauerlich sind kleinere Schwächen in der Umsetzung maßgebender Plot Points, wie der naiv und unsicher (inszeniert) wirkende Casinoüberfall sowie in der mangelnden Glaubwürdigkeit des dramaturgischen Hauptelementes der unvollendeten, aber dennoch glückenden Maskierung. Trotz des allegorischen Überbaus, fällt es in manchen Szenen schwer, sich vollends auf die präsentierten Gegebenheiten und Konstellationen einzulassen. Auch bleibt der für den Noir pflichtgemäße feminine Part in Form von Bartoks Sekretärin und Geliebter (Joan Bennets) ein wenig farblos.

Auch wenn nicht unbedingt zur ersten Riege und größten Produktion seiner Gattung zählend, kann DER MANN MIT DER NARBE ohne Weiteres als repräsentative Referenz einer düsteren Ausnahme-Ära des Classical Hollywoods betrachtet werden, auch wenn sich seine allegorische Ebene eher in nachträglicher (kulanter) Reflektion als bei unmittelbarer Rezeption erschließt.

Oliver Hahm