MATADOR

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Spanien 1986
Studio: Universum Film
Vertrieb: Universum Film
Veröffentlichung: 11.03.2011 [Kauf-DVD]
FSK: ab 16 Jahren
Ländercode: 2
Länge: 102 Minuten
Regie: Pedro Almodovar
Drehbuch: Pedro Almodovar, Jesus Ferrero
Musik: Bernardo Bonezzi
Kamera: Angel Luis Fernandez
Produzent: Andres Vicente Gomez
Schauspieler: Assumpta Serna, Antonio Banderas, Nacho Martinez, Eva Cobo, Julieta Serrano, Chus Lampreave, Carmen Maura, Eusebio Poncela, Bibiana Fernandez, Veronica Forque
System: PAL
Tonformat: Dolby Digital 2.0 (Stereo) in Deutsch, Dolby Digital 2.0 (Stereo) in Spanisch
Untertitel: Deutsch
Medientyp: DVD-9

Am 11. März ist es soweit: Eine der schmerzlichsten Lücken des regen DVD-Marktes wird endlich geschlossen. Nach vielen Jahren ist es endlich wieder möglich, Pedro Almodòvars frühes Meisterwerk MATADOR neu zu erleben - als Einzeledition, Edition Box Nr. 4 oder als Teil der Großen Edition mit 16 Mediabooks im Schuber bei Universum Film. Zeit also, dieses Werk umfassend zu würdigen:

Die sadomasochistische Sexualität in der Kunst ist ein langlebiger, kraftvoller Mythos, der immer wieder als Form und Metapher für den amour fou, die allesverzehrende Liebe und Leidenschaft, bemüht werden kann. Gleichwohl hat das kaum etwas mit der real praktizierbaren sadomasochistischen Liebe zu tun. In der Kunst gerät das sinnliche Spiel um Schmerz und Lust, Dominanz und Unterwerfung zum existenziellen Drama, während etwa eine filmische Dokumentation real praktizierbarer S&M-Sexualität wohl nur zweierlei sein könnte: unspektakulär und enttäuschend oder aber obszön und abstoßend in der nackten Wahrheit des geschändeten Fleisches. Beides wird man in ambitionierten Kunstwerken kaum finden. Einigen wir uns also darauf, dass sich der künstlerische Sadomasochismus von einer sadomasochistischen Lebensart eklatant unterscheidet.

Die metaphorische Kraft des Schmerzlust-Modells bleibt dabei unbestritten. Bereits Nagisa Oshima hatte in seinem berühmten erotischen Spielfilm AI NO CORRIDA / IM REICH DER SINNE (1976) die zwischen Eros, Schmerz und Tod ausgespannte Liebe mit einer weiteren Metapher verbunden und gesteigert: dem Stierkampf – AI NO CORRIDA, übersetzt „Stierkampf der Liebe“. Und ein Jahrzehnt später wurde der Spanier Pedro Almodóvar noch konkreter: Seine Symbiose von Eros und Thanatos mit dem programmatischen Titel MATADOR (1986) führte beide Metaphern in einer Fabel zusammen: traditioneller Stierkampf und sadomasochistische Sexualität werden hier zu ihrem fatalen Endpunkt getrieben und im Tod der Protagonisten vereinigt.
In seinem erotischen Thriller erzählt Almodóvar die Geschichte zweier Lustmörder: Diego Montes (Nacho Martinez), ein ehemaliger Matador, führt sein blutiges Geschäft im sexuellen Kontext fort; und die ebenso schöne wie kluge Rechtsanwältin Maria (Assumpta Serna) tötet ihre jungen Liebhaber in ausgeklügelten Ritualen wie eine Hohepriesterin. Zwischen ihnen steht der junge Angel, ein Schüler Diegos, der aus Liebe zu seinem Mentor die Morde auf sich nimmt. Als die tatsächlichen Täter von der Polizei in die Enge getrieben werden, ziehen sie sich in einen abgelegenen Landsitz zurück und nehmen sich im Liebesakt gegenseitig das Leben: die Erfüllung ihrer Leidenschaft im gemeinsamen Freitod.

Bereits die erste Einstellung des Films knüpft auf ungewohnt brachiale Weise die unmittelbare Koppelung von physischer Gewalt und sexueller Befriedigung: Auf einem Fernsehbildschirm ziehen Aufnahmen brutaler Gewaltakte vorüber, nicht von Ungefähr an die immer wieder belebte Diskussion um das gewaltpornographische „Snuff“-Phänomen gemahnend; ein dramaturgischer Kontext dieser Gewaltszenen ist nicht eruierbar, die Gewalt steht für sich, reduziert auf einen massiven physischen Reiz. Auch ist schwer zu ermitteln, ob es sich um reale, videografisch dokumentierte Gewaltakte handelt oder lediglich um eine inszenierte Simulation (tatsächlich sind es Szenen aus Mario Bavas Klassiker BLUTIGE SEIDE). Als sich die Kamera vom Bildschirm entfernt, wird deutlich, dass der männliche Betrachter zu diesen Bildern gerade masturbiert. Bereits David Cronenbergs Mediensatire VIDEODROM, drei Jahre zuvor entstanden, verweist auf diese durch die Einführung der reproduzierenden Heimmedien grundlegend veränderte, intime Nutzung von Film: In der Privatsphäre des eigenen Wohnzimmers ist die soziale Kontrolle anderer Kinobesucher nicht mehr gegeben. Die Nutzung der Bilder entzieht sich völlig der Kontrolle durch zweite. Film kann so um so mehr zur Projektionsfläche geheimster Träume und Wünsche werden, die nicht selten – der Surrealismus hatte es bereits vorgedacht – in eine wollüstige Rezeption sexueller und grausamer Darstellung münden. – Erst die nächste Sequenz enthüllt, dass der Matadoren-Lehrer Diego auch beruflich einem um Eros und Thanatos kreisenden Geschäft nachgeht.

Ritus von Leben und Tod

Der spanische Stierkampf (corrida) in seiner heutigen rituellen Form geht auf die berittenen Hirten zurück, die, um angreifende Tiere parieren zu können, akrobatische Sprünge und Ausweichsstrategien entwickeln mussten. Seit dem 17. Jahrhundert entwickelte sich dann ein strenges Regularium, nach dem die Zeremonie in drei Akten abläuft. Im ersten Akt wird der Stier von den berittenen picadores mit Hilfe von Lanzen an bestimmten Körperstellen verwundet. Diese Wunden sollen das Tier zum Kampf anreizen und zwingen, mit seinen Kräften zu haushalten, was zu überlegteren Angriffen führen soll. Im zweiten Akt ist es das Ziel der banderilleros, dem aggressiven Stier jeweils drei banderillas, Eisenspieße mit bunten Bändern, in jede Seite der Nackenmuskulatur zu stossen. Diese gezielten Verwundungen bringen den Stier dazu, sein Haupt im Angriff zu senken; ebenso markieren sie die spätere Einstichstelle für den Degen des Matadors. Die Torreros des zweiten Aktes agieren bereits mit der Eleganz und Anmut, die zu den Qualitäten vor allem des Matadors zählen, der dann im dritten Akt, den tercio de muerte, mit capa, dem roten Tuch, und muletta, dem Degen, gegen den bereits angeschlagenen Stier antritt und ihn in einem tänzerischen Spiel reizt. Immer wieder weicht er den tödlichen Hörnern des Tieres gewandt aus, bis er im von ihm angepeilten richtigen Moment mit einem einzigen Degenstoss den Tod des Stiers herbeiführen muss. Immer wieder kommt es in diesem Akt auch zum Tod des Matadors, ein wesentliches Faktum, das die Reduktion der corrida auf eine makabre, rein ästhetische Étüde verhindert. Da der angreifende Stier für anbrandende Manneskraft und die aggressive männliche Sexualität steht und nur der Matador das Recht hat, dieser Macht mit einem einzige Stoss ein Ende zu setzen, lässt sich dieses morbide Ritual sowohl als ein homoerotisches Balzspiel wie auch als Demonstration männlicher Dominanz lesen. Es gehört zur Tradition, dass in den vordersten Reihen der Arena nur die schönsten Frauen den Auftritt des Matadors bezeugen und um die Gunst buhlen, die Ohren des toten Tieres überreicht zu bekommen.

Seduktion

Dieses blutige Ritual wird von Diego Montes vor dessen Schülern ausführlich erläutert, wobei eine zunächst rätselhafte Parallelhandlung eingeführt wird: Auf einem weitläufigen, lichtüberfluteten Platz tritt die ebenso stolze wie selbstbewusste Anwältin Maria gekleidet in ein strahlend weisses Gewand auf, taxiert einen attraktiven jungen Mann und winkt ihn zu sich. „Erscheint der Torero in der Arena, taxiert er den Stier aus der Distanz und entscheidet sich für eine bestimmt Art des Kampfes,“ sind Diegos teilweise aus dem Off eingesprochene Worte. Der Betrachter wird Zeuge einer rasanten sexuellen Verführung – für die sich die Inszenierung im Übrigen nicht sonderlich intreressiert –, die in einem nahezu klassisch-antik eingerichteten Raum endet, wo sich die Verführerin und ihr Objekt einander hingeben werden. Wieder entsprechen die vorgeführten Handlungen Diegos Anweisungen: mit dem Parieren des capa fällt Marias Gewand, mit dem Stossen der Hörner führt ihr Liebhaber die Penetration durch. Immer bleibt Marias Haltung distanziert und abschätzend. Mit einem Kuss markiert sie den Nacken gleich den banderilleros, deren Eisenspiesse ersetzt ein roter Kreis aus Lippenstift, der die Einstichstelle markiert. „Ein guter Degenstoss ist immer das Ergebnis einer guten Naharbeit. In jeder guten Naharbeit kommt der Moment, in dem der Stier nicht mehr angreift. Er bittet uns um den Tod, um uns seinen Tod zu offenbaren,“ sind Diegos Worte. Ein Verharren vor dem finalen Akt: Maria begegnet dem Blick des Liebhabers zwischen ihren Brüsten hindurch, dann setzt sie ihre Haarnadel im Zentrum der Markierung an und stösst zu. Gleich dem jubelnden Publikum löst sich ihr Orgasmus in einem Lustschrei.

Die Begegnung mit dem Stierkampf mag für die traditionell todesflüchtige nordwesteuropäische Kultur verstörend anmuten, holt sie doch unvermittelt den nicht erwiderbaren Akt des Opfers gewaltsam in den Erfahrungshorizont zurück. Almodóvars MATADOR bedient sich dieser Thanatosfeier auf mehreren filmischen Ebenen, um seinerseits ein Verführungspiel ausgespannt zwischen Eros und Tod zu knüpfen. Ihn interessieren dabei weniger die alltäglichen Verführungs- oder eher Balz-Rituale zwischengeschlechtlicher Partnerwerbung – diese Szenen überspringt er mitunter –, wesentlicher erscheinen ihm jene Momente existenzieller, fataler Begegnungen, die jenem Ritual der corrida entsprechen und zwischen Film und Publikum ihrerseits ein herausforderndes seduktives Spiel entfesseln. In seinem kriminalistischen Verwirrspiel inszeniert der Film bis zu seinem tödlichen Höhepunkt hin diese Verführung als eine planvolle Hinführung zur Erkenntnis der wahren Schönheit dieses auf den ersten Blick psychopathischen Akts.

Die Überschreitung der Grenze

Am Ende flüchten Diego und Maria also auf einen romantischen Landsitz, wo sie sich zum ersten Mal in angemessener Hingabe – gebadet in eine goldene Aura gedämpften Lichtes – begegnen können: „Endlich zu Hause,“ so spricht Diego. Der sonst ungestüme Matador erkundet zärtlich, mit einer Rose im Mund den nackten, nur in ein rotes Cape gehüllten Körper der Frau, die zum ersten Mal in diesem Film genussvoll die Kontrolle abgibt. In einem zunächst konventionellen Akt treiben die beiden Liebenden ihrem sexuellen Höhepunkt entgegen. „Was willst Du von mir,“ fragt Maria, worauf Diego antwortet: „Alles. [...] Wir sind dazu verurteilt, zusammen zu sein. Niemand kann es verhindern. Niemand. Nicht einmal wir.“ Und während sich draussen die Polizei um das Haus sammelt, greift Almodóvar zu einer radikalen – wenn auch pathetischen – inszenatorischen Wendung: Die Sonne verfinstert sich.

Die 'Schwarze Sonne‘ ist ein mit unterschiedlichsten Bedeutungen aufgeladener Mythos, oft verknüpft mit Apokalypse-Gedanken. Die Sonne verfinstert ihr Antlitz, entzieht der Welt die Wärme, die das Leben erhält. Dabei bleibt sie präsent in einer glimmenden Korona, finster und strahlend zugleich. Wie alle Apokalypse-Visionen dient auch diese temporäre Verfinsterung, die einem momentanen Stillstand gleicht, einer Aufhebung der profanen und einem Eintritt in die nichtlineare sakrale Zeit, letztlich der Neugeburt – einer Neu-Schöpfung der Welt. In ihrer Wiedergeburt kann die alte Welt neu betrachtet werden: Diego und Maria nutzen diesen Moment des Aussetzens, um sich gegenseitig den ersehnten Liebes-Tod zu schenken: „Niemand hat mich jemals so geküsst. Bisher liebte ich immer alleine. Ich liebe Dich mehr als meinen eigenen Tod. Würde es dir gefallen, mich tot zu sehen?“, so lauten Marias letzte Worte. „Nie habe ich jemanden so glücklich gesehen,“ wird der Kommissar sagen, als er der Toten angesichtig wird. Wer ein Leben als Gabe empfängt, kann diese allenfalls durch das Selbstopfer aufwiegen. Jean Baudrillard nennt den Tod in diesem Kontext auch eine „irreversible Gabe“ (Der symbolische Tausch und der Tod). Zugleich ist kein Moment einmaliger als die Überschreitung der Grenze vom Leben zum Tod. Diego ist der einzige Maria ebenbürtige Mensch, was bereits in ihrer früheren Begegnung in Marias Kanzlei dazu führt, dass die Frau den Matador barsch des Hauses verweist; bereits hier ahnt sie diese fatale Verknüpfung, die nicht nur sein, sondern auch ihr eigenes Leben kosten wird. Die wertvollste Gabe ist die einmalige. Dem Film mit dem emblematischen Titel geht es von Anfang an um diese schicksalshafte Verknüpfung dieser beiden Wesen, was sich zunächst nur in der filmischen Parallel-Montage zeigt. Doch auch im Schwarzweiss ihrer Kostüme gleichen sich Diego und Maria schon früh. Schwarzweiss gefleckt wird auch das Kuhfell sein, auf dem sich dem Tod hingeben. „Der Tod bewegt jeden,“ sagt Maria einmal, und auch Diego reflektiert seine Leidenschaft: „Hätte ich mit dem Töten aufgehört, dann hätte ich aufgehört zu leben.“ Obwohl Diego auch in dieser letzten Sequenz zunächst in seinem Torerokostüm antritt, war stets er der Stier, der seine aggressiven Penetrationsversuche ungerichtet in die Umgebung seiner Liebhaber richtete: Seine Morde waren brachiale, mit den Händen ausgeführte, spontane Würgeakte. Ganz anders Maria: Sie ist die kühl kalkulierende Matadorin, die die Angriffe der selbst gewählten Stiere lustvoll pariert, bis sie im letzten Moment gezielt zustößt. Erst im finalen Akt weichen sich diese Grenzen auf und Maria kann sich Diegos Verführung hingeben. Georges Batailles in L’érotisme (1956) und anderswo formulierte Erkenntnis „Die Erotik kann man bestimmen als das Jasagen zum Leben bis in den Tod“ findet hier eine letztgültige Erfüllung.

Deshalb ist dieser letzte Akt auch nicht mehr Teil einer Verführungshandlung, sondern vielmehr der folgerichtige Endpunkt einer Verführung des Films am Zuschauer, dem es überlassen bleibt, sich im Blutrot des Abspanns von der verführerischen Logik des Films zu distanzieren oder aber die Erhabenheit des inszenierten Opferrituals als mythische Liebesgeschichte zu würdigen.

Marcus Stiglegger