Mike Siegel

Passion and Poetry
Sam Peckinpah in Pictures

Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag 2003, ISBN 3-89602-472-8, 576 Seiten, durchgehend illustriert, teilweise farbig

Vor 20 Jahren verlor das Kino einen seiner großen Meister. Bereits strak von seinem Karrieretief erschüttert verstarb 'Bloody Sam' Peckinpah an einer Herzattacke. Dieser radikale Filmemacher war beides: Poet und Barbar, ein Ästhet der Gewalt und Suchender nach Treue, Freundschaft und Liebe.

Viele sehen in Peckinpah zunächst einmal den 'Man of Steel', der mit seinen verlangsamten Todesballetten offenbar eine 'Ästehtik der Gewalt' zu ihrem Endpunkt trieb. Sein 'Männerkino' entfalte so geradzu 'Riten der Gewalt', die einem kulturpessimistischen Weltbild vorschub leisteten. Dageben betont Vadim Glowna, Schauspieler bei Peckinpah, dieser sei "der zärtlichste Mann des Westens".

Peckinpahs Filme spiegeln den ambivalenten, unberechenbaren Charakter ihres Schöpfers: der große melancholische Spätwestern SACRAMENTO, das opus magnum THE WILD BUNCH - SIE KANNTEN KEIN GESETZ über Freundschaft und Tod, das kulturkritische Planspiel STRAW DOGS über den Umbruchpunkt der Aufklärung, das nihilistische Kriegsepos STEINER - DAS EISERNE KREUZ, in dem die Jagd nach der Auszeichnung zumrsinnlos-tödlichen Sprale gerät. Die schönsten Filme Peckinpahs sind auch seine traurigsten - und zugleich beides Liebsfilme: PAT GARRET JAGT BILLY THE KID über die tödliche Freudnschaft späterer Rivalen - und ABGERECHNET WIRD ZUM SCHLUSS, die zarte Liebesgeschichte zwischen einem Rauhbein (Jason Robards) und einer Prostituierten (Stella Stevens). Am Ende wird der Westerner buchstäblich vom Fortschritt in Gestalt eines Automobils überrollt.

„Ich wollte kein episches Werk schaffen“, sagt Peckinpah über THE WILD BUNCH, „nur eine simple Geschichte erzählen über ein paar schlechte Männer in einer Zeit, die sich verändert. THE WILD BUNCH zeigt, was passiert, wenn eine Bande von Killern nach Mexiko geht. Das Merkwürdige ist nur, dass man einen großen Verlust verspürt, wenn diese Killer am Ende ihres We-ges angelangen.“ Sein Film zieht eine Summe des Western-Genres und brachte es mit dem Ende der sechziger Jahre zugleich zu einem späten Höhe- und Endpunkt. Die Feier der reinen Bewegung endete, wo sie enden musste: im absoluten Stillstand – im Tod. Und diesen Tod inszenierte Peckinpah als einen letzten mythischen Moment, als einen "eternal instant": "Er entdeckte den ewigen Moment. Es faszinierte ihn, wie ein traumatisierender Moment sich dehnt, wie jedes sinnliche Detail intensiviert und jede Bewegung in die Länge gezogen wurde – wie man in der unmittelbaren Begegnung mit dem Tod das Leben mit größter Intensität spürte, wie man in eine außerordentliche Hochstimmung geriet." (Bernd Kiefer)

Oft wurde beschworen, wie Sam Peckinpah mit den spektakulären Sequenzen zu Beginn und am Ende von THE WILD BUNCH jenes heute so verbreitete Klischee der Gewalt in Zeitlupe, des stilisierten Todesballetts, erfunden habe. Und doch trennen die in der Tat ästhetizistischen Sterbechoreografien von John Woo (etwa in FACE/OFF / IM KÖRPER DES FEINDES, 1996) Welten von jenen komplex verschachtelten Montagen, in denen Peckinpah die Dämmerung des 'alten Westens‘ inszeniert. Gleich-wohl erzeugt er einen Rausch, der nach permanenter Bewegung giert und den Stillstand als Schmerz empfinden lässt – nicht zuletzt, weil dieser gleichbedeutend ist mit dem Tod. Diese Analogie deutet sich bereits in jenem Stilmittel der Verlangsamung an, das den 'mitgerissenen‘, beschleunigten menschlichen Körper in seiner Verrenkung für Momente einzufrie-ren scheint, um ein genaues Hinsehen auf Schrecken und Schmerz, auf die Affiziertheit des Körpers, zu gestatten. Nie wird eine solche Einstellung an einem Stück gezeigt, vielmehr 'unterschneidet‘ Peckinpah solche "eternal instants" mit anderen, oft gegenläufigen, kontrastiven Bewegungen, was u.a. den Effekt hat, dass sich der Zuschauer diesem Anblick nicht entziehen kann. Unvermittelt taucht ein bereits 'beendetes‘ Bild noch einmal auf, nur um einen letzten Blick auf den Verletzten oder Sterbenden zu gestatten, dessen Arm sich in einem agonalen Aufbäumen leicht bewegt. Peckinpahs "eternal-instant"-Montagen kennen kein Erbarmen mit dem Zuschauer, dessen Augen gebannt werden sollen, dessen Gehör das Einschlagen von Kugeln in Fleisch, das Zerreißen des Gewebes vernimmt. Solche Inszenierungen affizieren den Körper des Betrachters, schaffen eine Ahnung des Unfassbaren. Kaum ein Film hat das vollkommener durchgeführt als THE WILD BUNCH, dessen Finale Bewegung, Sensation und Affekt zu einem er-schütternden Geflecht zusammenspinnt.

Das nun vorliegende Buch des deutschen Filmaficionados Mike Siegel ist der erste Bildband zum Werk Sam Peckinpahs: Prall gefüllt mit hunderten seltener, nie gesehener Fotos und Werkaufnahmen, die Leben, Arbeitsweise und Stil des Regisseurs eingehend dokumentieren. Begleitend hat Siegel die Fakten aus Peckinpahs Privatleben auf einen aktuellen Stand gebracht. Der leicht lesbare Text trägt also die Ereignisse zusammen, die zu den großen (und kleinen) Filmwerken geführt haben. Einen analytischen Ansatz sucht man hier indes vergebens: Siegel ist ein Sammler - der Bilder und Fakten. Und er ist ein ergebener Fan, der seinen Idol gerecht werden möchte. Das trübt das Vergnügen kaum, sofern man keine zu hohen Erwartungen hat und dies nicht das erste Buch über Peckinpah ist. Der Bildband stellt eine grandiose Ergänzung zu dem eher analytisch-lexikalischen Buch von Frank Arnold und Ulrich von Berg ("Ein Outlaw in Hollywood", Ullstein Verlag 1987) dar, das jedoch leider schon lange vergiffen ist. Eine kurze - aber prägnante - Einführung bietet zumindest Bernd Kiefer in dem Sammelband "Splitter im Gewebe" (Hg. Marcus Stiglegger, Bender Verlag 2000).

Misst man das Buch an seinem eigenen Anspruch, ist es definitiv gelungen: umfassend, detailreich, voller neuer Informationen. Ein umfassender Anhang trägt Filmografien, Bibliografien, Interview, Dokumentarfilme, sogar Songtexte, Schnittberichte und internationale Aushangfotos zusammen. Schon alleine diese Fülle ist unverzichtbar. Autor Mike Siegel: "Die Entscheidung, dieses Buch herauszubringen, steht ganz in der Tradition Peckinpahs: Es ist ambitioniert, detailliert und unzensiert." Und noch eins: unzeitgemäß. Bleibt nur zu hoffen, dass sich auch eine jüngere Generation von Filmfans, die mitunter die filmische Ästhetik der Gewalt für eine Erfindung Quentin tarantinos hält, an diesen Altmeister erinnern wird. Denn ansonsten kommt ein solches Werk - auch zwanzig jahre nach Peckinpahs Tod - quasi aus dem Nichts...

PS: Man beachte die mangelhafte Edition von Peckinpah-Filmen auf DVD in Deutschland: Schundige Versionen von THE OSTERMAN WEEKEND, JUNIOR BONNER und STRAW DOGS, eher ärmliche Ausgaben von STEINER und THE KILLER ELITE... Nicht einmal THE WILD BUNCH ist hierzulande erhältlich! Die beste Ausgabe hat ausgerechnet die Truckerkomödie CONVOY (Kinowelt) erfahren.

Marcus Stiglegger