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Georg Seeßlen
Sex-Fantasien in der Hightech-Welt I, II & III
Verlag
Der Maschinentraum ist feucht
Sex-Fantasien in der Hightech-Welt - so der verbindende
Untertitel der dreibändigen Trilogie, (mit den Einzelbänden
Träumen Androiden von elektronischen Orgasmen?, Der virtuelle Garten
der Lüste und Future-Sex in Queertopia) die der Film-Essayist und
Kulturkritiker Georg Seeßlen aktuell im Bertz & Fischer-Verlag
veröffentlicht hat. Darin bewegt sich der Autor durch die digitalisierten
und technologisierten Real-Fantasien eines posthumanen Begehrens, das
kein Science-Fiction-Traum mehr ist, sondern sich längst in das Subjekt
und seine Maschinen-Schöpfungen eingeschrieben hat.
Die Mensch-Maschinen-Konvergenz
Der technoide Körper, der Cyborg, postmoderne Realitäten,
virtuelle Räume... Die Konzepte des Posthumanen, mit denen Seeßlen
operiert, sind nicht neu und werden seit einigen Jahrzehnten multidisziplinär
theoretisiert. Seeßlen spart sich eine Diskussion dieser Ansätze,
er postuliert statt dessen eine praktische Gegenwärtigkeit der Mensch-Maschinen-Konvergenz:
Durch die Entwicklung von „neuen“ Maschinen, so der Autor,
ereignet sich eine Verschmelzung von Mensch und Maschine an allen technologischen
Fronten. Er systematisiert diese neuen Maschinen treffend und unterscheidet
zwischen der virtuellen Maschine als Interface, der Körpermaschine
als organischer Interaktion von Mensch und Maschine und der Bildmaschine
als sozialer Differenzierungsmaschine. Der Mensch erschafft sich durch
die und mit der Maschine als Subjekt und wird so immer maschineller, während
die Maschine ihrerseits immer subjekthafter, und damit zunehmend menschlich
wird. Der universelle Binär-Code Natur/Kultur ist in Implosion begriffen,
zwangsläufig folgt darauf die Entleerung und schließlich die
Auflösung weiterer Elemente der sozialen und symbolischen Ordnung,
allen voran der Dichotomie Männlich/Weiblich.
Dieser Prozess, so Seeßlens Grundthese, zeitigt zwangsläufig
auch Effekte für den sexuellen Diskurs. Je mehr die „neuen“
Maschinen in das körperliche Geschehen des Menschen eingebunden werden,
desto umfassender und intimer wird die Interaktion zwischen beiden. Und
weil der Mensch, wo er Beziehungen eingeht, „das Begehren nicht
unterbinden“ kann, wie es der Autor formuliert, wird im Zusammenspiel
sowie der Kollision von Maschinisierung und Sexualität Energie freigesetzt,
die das Feld des Begehrens ausweitet.
Der erweiterte sexuelle Diskurs
Um den „feuchten Maschinentraum“ träumen
und leben zu können muss der Mensch der Maschine, damit sie menschlich
genug sei, Sex und Gender „einbauen“ - ohne die Kategorien
des Geschlechtlichen scheint das Subjekt (noch?) nicht denkbar und damit
auch nicht begehrbar. Da die neuen Maschinen nicht nur geschlechtlich
markiert sind, sondern ihrerseits auch Geschlecht erzeugen (z.B. die Körpermaschinen
der Life Sciences), verliert ein „Gegebenes“ für die
sexuelle Identität des maschinisierten Menschen zunehmend an Bedeutung,
an seine Stelle treten ein „Zugeschriebenes“ und ein „Gemachtes“.
Es vollzieht sich eine Entkopplung von sexueller Identität und Geschlechterdichotomie,
weil Zeichen, Funktionen und Zuordnungen sich in den neuen Geschlechtskonstruktionen
variabel und beliebig bewegen können. Statt des einen „großen
Unterschieds“, der den Mythos und das Soziale strukturiert, und
von dem aus Abweichungen beschrieben werden, formiert sich eine sexuelle
Heterotopie, in deren Räumen sich das Begehren mehrdimensional erschafft
und organisiert. Die Einbindung von immer mehr und vielfältigerer
Technologie in die Sexualität eröffnet einen immer größeren
Spielraum, in dem die Maschine nicht mehr schlicht Werkzeug des Menschen
oder sein Ersatz ist und in dem völlig neue Beziehungen, Interaktionen
und Szenarien möglich werden. Gleichzeitig findet eine Medialisierung
der Sexualität statt, die, so Seeßlen, die „Unterscheidungen
zwischen „natürlicher“, „performativer“,
„simulierter“, „abgebildeter“ oder „übertragener“
Sexualität ebenso in Frage stellt wie das binäre System von
öffentlich/intim.“ Am Horizont des Posthumanen scheint dann
so letztendlich auch die Vision des Postsexuellen auf, in der sich die
Differenz zwischen sexuell und nicht-sexuell und mit ihr das psychosexuelle
Drama der menschlichen Existenz auflöst. Und weil soviel Auflösung
eben auch immer Gegenbewegungen produziert, weil sie Verlust bedeutet,
beobachtet Seeßlen analoge Strategien des Versuches einer „Rückgewinnung
des Körperlichen, des Eindeutigen, des Subjektiven, des „Schmutzigen“
gar“, die den postmenschlichen sexuellen Diskurs mitprägen.
Unmittelbar praktisch spürt Seeßlen alltägliche
Manifestationen der sexuellen Mensch-Maschinen-Einheit der posthumanen
Zeitenwende auf, deren Entwicklung, Konstruktion und gesellschaftliche
Durchsetzung sich zwar konvergent in allen Bereichen der menschlichen
Existenz, aber in ihrer Form fragmentarisch vollzieht. Seine Untersuchungsfelder
sind mannigfaltig und verschwimmen, weil sie analytisch miteinander verwoben
und in ihren Wechselwirkungen beschrieben werden. Der Autor spinnt Beziehungen
zwischen Pornografie, Reproduktionstechnologie und Humangenetik, Sex-
und Foltermaschinen, plastischer Chirurgie und Anti-Aging, Technologiedesign,
Computerspielen und den populären Mythen von Literatur und Film (prominent
bei Seeßlen hier das Genre des Science-Fiction), die Gegenwart reflektieren
und fantasmatisch bearbeiten. Folgerichtig hat Seeßlens Text unzählige
ProtagonistInnen: Menschen, Maschinen und allerlei Misch- und Halbwesen.
Roboter, Cyborgs und Avatare treten genauso auf und werden für die
Untersuchung befragt wie Klone, Barbies und Sexpuppen, Zombies und Vampire,
außerirdische Amazonen und Space Kids, Frankenstein und natürlich
seine Braut, um nur einige zu nennen.
Keine Befreiung. Nirgends
Seeßlen bewegt sich mit dieser „Realisation
des Alltäglichen“ weitab von konkreten Utopien, die sich vom
Postmenschen eine ethische und moralische Überhöhung des Humanen
erhoffen, wie sie z.B. Donna Haraway mit ihrem Konzept des feministischen
Cyborgs formuliert. Für Seeßlen muss das „Parallelgeschöpf“
immer die Neurosen seiner Schöpfer erben. Insofern leidet bei Seeßlen
auch der Postmensch an Ausbeutung, Entwurzelung, Entfremdung und Einsamkeit.
Kein von ihm ins Spiel gebrachte Fragment der posthumanen Transformation
des Begehrens, das sich außerhalb des Zugriffs einer kapitalistischen
Logik vollziehen könnte: „Die Befreiung des Körpers im
Kapitalismus kann nur eine kapitalistische Freisetzung sein.“ Gerade
in und durch die Fragmentierung, so der Autor, verschleiert sich die marktförmige
Zurichtung und/oder unmittelbare Erfassung durch die Biopolitik; erst
sie ermöglicht damit ein weitgehend unbemerktes „Einsickern
in die Gesellschaft“ an diversen Stellen. Seeßlen spricht
deshalb von einem körperpolitischen Diskurswechsel der Kontrolle,
von der Ablösung der hierarchischen Ordnung durch eine kybernetische
Ordnung, in der die nun „doppelte Verfügungsmacht“ der
Biomacht das Leben nicht mehr nur lesen, sondern jetzt auch schreiben
könne. Allerdings, und das bleibt am Ende der Lektüre von Sex-Fantasien
in der Hightech-Welt I-III auch so stehen, ist laut Seeßlen über
das Wesen dieser Kontrolle noch nicht das letzte Wort gesprochen. Irgendwo
im Kämmerchen lauert, wie so häufig bei Georg Seeßlen,
dann doch noch die Hoffnung auf die Revolution.
Endlos geflochten
Seeßlens Trilogie ist höchst unterhaltsam zu
lesen, temperamentvoll und scharfsinnig geschrieben, und wartet mit interessanten
Details auf, die sich logisch ins Ganze fügen. Die Leidenschaft des
Autors für sein Sujet ist offensichtlich. Ein Prädikat, dass
nicht allzu viele kulturanalytische Texte für sich beanspruchen können.
Trotz oder teilweise gerade deswegen verstellt Seeßlens
Buch seinen RezipientInnen jedoch auch immer wieder den Blick auf seine
Kernaussagen. Die fragmentierte Erzählweise, die zwar angesichts
der formulierten Thesen für die Form des Textes konsequent ist, führt
mit ihren Abschweifungen, Anekdoten und Inhaltsangaben an der ein oder
anderen Stelle zur Unklarheit. Auch wenn nachvollziehbar ist, dass sich
die von Seeßlen gewagte Entschlüsselung einer radikalen Zeitenwende
nur in sich windenden Zirkulationen entfalten kann, weil sie auch so im
Gegenwärtigen sichtbar wird, wäre eine Spur mehr Transparenz
zur Argumentationslinie des Autors wünschenswert gewesen. Manchmal
ist das Lesen dieses Buches wie ein Sturz in eine Grafik von M.C. Escher:
Vor lauter Spiegelungen, wiederkehrenden Abzweigungen und labyrinthischen
Verzerrungen kann man nicht anders als kopfüber im Kreis zu laufen.
Was hier hätte Struktur schaffen können, nämlich die Entscheidung
des Verlages, den Text in drei Bänden zu veröffentlichen, trägt
dann leider noch zusätzlich zur Zerfaserung der Gedanken bei. Zwar
lässt sich eine grobe thematische Gliederung erkennen - im ersten
Band wird die Dynamik der Mensch-Maschinen-Konvergenz vor allem an Phänomenen
der Lust- und Schmerzerzeugung und an Reproduktionstechnologien analysiert
und illustriert, der zweite Band spürt verschiedene Technologien
zur Erzeugung des posthumanen Körpers auf und vertieft sich in deren
kulturelle Folgen, der dritte Band konzentriert sich hauptsächlich
auf die Betrachtung des Postmenschen als realisierte Pop-Mythologie -
erschließt sich die Logik der Unterteilung nicht wirklich. Zudem
ist es angesichts der Fülle an zitierten Filmen und Romanen, die
Seeßlen ohne elitären Dünkel gegenüber einer sogenannten
Low-Culture überaus kenntnisreich für seine Analyse hinzuzieht,
geradezu ärgerlich, wie kurz das Literaturverzeichnis der Trilogie
ausfällt, während eine Filmografie sogar zur Gänze fehlt.
Insgesamt überwiegt in Georg Seeßlens neuestem
Buch jedoch die Tatsache, dass hier theoretisch und praktisch ein anthropologischer
Paradigmenwechsels beobachtet und seine Erscheinungen und Effekte zusammen
gedacht und ausgewertet werden. Die systematische und souveräne Beschreibung
der Transformation des sexuellen Diskurses, hat man sie inmitten Seeßlens
mäandernder Brillanz erst mal lokalisiert, ist erhellend, nachvollziehbar
und dank des kritischen Ansatzes des Autors nie eindimensional. Seeßlen
ist mit seiner Trilogie Sex-Fantasien in der Hightechwelt I, II &
III der Zeit voraus und doch - und es ist die bemerkenswerteste Leistung
dieses Textes, das vor Augen zu führen - mitten drin in der posthumanen
Gegenwart.
Julia Reifenberger
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