Sieben Himmel

5 / 5 Sterne

D 2005. - R: Michael Busch

http://www.siebenhimmel-film.de/

"Traumatisches wird in die Körper eingeschrieben. Der Film ist eine Sehnsuchtsmaschine." Michael Busch, Statement zu SIEBEN HIMMEL

Grobgekörntes, monochromes Filmmaterial. Sphärische Drones. Ein Mädchen in schwarzem, kettenbehangenem Gothic-Outfit taucht durch klares Wasser. Dann Schwärze. SIEBEN HIMMEL, ein Spielfilm des Berliners Michael Busch, legt bereits in den ersten Sekunden des Films die Regeln fest: Er strebt nach einer neuen, visionären Perspektive, die sich allen Bildern einzeichnet, deren Stil man als impressionistisch bezeichnen könnte. Oft enthält er uns Informationen vor, überblendet die Szenerie bis zur Unkenntnlichkeit, oft bleibt er in kalkulierter Unschärfe oder gönnt uns nur sparsame Akzente von Licht. SIEBEN HIMMEL ist ein seltenes Erlebnis im deutschen Kino: Ein risikoreicher, trauriger und wütender Film auf der Suche nach Unbekanntem und Aufregendem... SIEBEN HIMMEL ist ein Glücksfall des deutschen Autorenfilms.

Es ist Winter. In einer improvisierten Hütte auf einer Insel in winterlicher Seenlandschaft liegt Johann (Christoph Bach) fiebernd in seinem Schlafsack. In seiner Einsamkeit reflektiert er seine jüngste Vergangenheit - ein Sommerliebe, die in diesem Haus ihren Höhepunkt fand...

Johann möchte nach dem Kodex der Katharersekte leben, die in dem Versuch, ihr Ich zu überwinden, völlige Abgeschiedenheit und Abstinenz wählten und sich die 'sieben Himmel zwischen dem Disseits und der göttlichen Welt des Lichts' vergegenwärtigten. Ihr Zeichen war das Doppelkreuz. - Um sich den Abschied aus der sozialen Welt zu ermöglichen, arbeitet Johann als Nachtwächter. Eines Nachts begegnet ihm Jenny (Daniela Schulz), eine junge Frau aus der Gothic Szene, die wütend gegen die verschlossene Eingangstür des Bürogebäudes tritt. Für Johann ist diese exzentrische, schwarz gekleidete Frau die Inkarnation seines Traumes. Mit ihr glaubt er, ein Deja-vu zu erleben, das Wahrwerden einer Idee. Und tatsächlich entspricht vieles, was beide erleben, Johanns Traumprotokoll. Entgegen seinem Entschluss, weltlichen Werten abzuschwören, verliebt er sich in das Mädchen und beginnt, ihr nachzuspionieren.

Jenny arbeitet als Internetstripperin "Gothic Goddess" und geht gemeinsam mit ihrem Freund Patrick (Lars Löllmann) mittelalterlichen Live-Rollenspielen nach. Doch Jenny ist von Johann fasziniert. Mit einem Doppelkreuz-Tattoo beweist sie ihm ihre Gefühle, dringt zunehmend in seine Welt ein. Als sie im Laptop sein Traumtagebuch entdeckt, beschließt sie endgültig, seine Träume wahr werden zu lassen...

SIEBEN HIMMEL vermischt in einer achronologischen, oft assoziativen Montage die Ebenen: Vieles wird spät - zu spät - erst deutlich, manche Zusammenhänge werden erst in einem zweiten Anlauf klar. Sieben mal sehen wir in diesem Film den Himmel, ohne uns 'wie im siebten Himmel' zu fühlen. Vielmehr schwelgen die düsteren Bilder in Unschärftezonen und bleiben auf Distanz. Nach etwa 30 Minuten erfolgt ein Bruch: Mit körnigem Super-8-Material erleben wir Teile der Geschichte erneut, diesmal jedoch wird Jennys Leben beleuchtet, ihre Zerrissenheit zwischen zwei Geliebten, ihre verzweifelte und aggressive Suche nach einem Ausweg aus einer Welt, der sie sich entfremdet hat. Traum und Erinnerung lassen das Geschehen verschwimmen, bieten nur selten Anker und Hinweise. SIEBEN HIMMEL zeigt zwei Leben aus der Balance, die sich finden und verlieren im Morast der Existenz: "Es ging mehr darum, Fragen zu stellen, als Antworten zu geben," sagt Regisseur Busch dazu. Sein Film stellt existenzielle Fragen, wobei er nicht nur das religiöse Weltbild der Katharer, sondern auch das düstere Lebensgefühl der Gothic-Szene als Reflexionsfläche beschwört. Erstmals behandelt ein Spielfilm diese Elemente nicht als diskriminierendes Beiwerk, als modischen Gag oder als comichafte Phantasie - der weltenrückte Gothicstil wird selbst zum Ausdrucksmittel des Films, die Musik von Xiu Xiu, Elusive und Lycia fügt sich organisch in das Gesamtwerk. Niemals wirken die Schauspieler hier 'maskiert' oder künstlich als Repräsentanten einer bizarren Welt. Daniela Schulz gelingt das Kunststück, ihrerseits die schwarze Kleidung und weiße 'Corpse-Paint' subtil in ihr Spiel zu integrieren, um zugleich in anderen Momenten in ihrer verletzlichen Nacktheit trotzige Stärke zu demonstrieren.

Regisseur Michael Busch, Jahrgang 1965, studierte Theaterwissenschaften in Gießen, später Bildenden Kunst in Berlin, sowie Experimentelle Filmgestaltung. Danach arbeitete er als Regisseur, Komponist und Drehbuchautor u. a. zusammen mit Philip Gröning an dem Film L'AMOUR (2001), ebenfalls ein experimentelles, leidenschaftliches Werk über die Grenzbereiche des Begehrens - ebenfalls ein visionärer und radikaler Film, der es dem Zuschauer niemals leicht macht. SIEBEN HIMMEL widmet sich auf mehreren Ebenen problematischen Sujets: Er stellt zwei Außenseiter ins Zentrum - den philosophischen Eremiten und die Gothic-Frau, zwei Kulturpessimisten, die in bewusster Abwendung von der gegenwärtigen Welt nach alternativen Lebensmodellen suchen. Johann sucht nach einem Ausweg aus dem Konsumismus einer entspiritualisierten Welt in der Religion. Jenny liefert sich den Mechanismen der Konsumwelt zum Schein aus, indem sie ins pornographische System eintritt und dessen Trugbild und Projektionsfläche wird ("Gothic Goddess"). Doch auch in Jennys Interessen, u.a. dem mittelalterlichen Rollenspiel mit Magie und theatralischen Schwertkämpfen, drückt sich die Sehnsucht nach einem Leben quer zu den Werten der (Post)moderne aus.

SIEBEN HIMMEL ist ein großartiges filmisches Kunstwerk, ein in seinem Stilwillen und Konzept allenfalls an die ähnlich gelagerten Filme des Franzosen Philippe Grandrieux (DÜSTERE TRIEBE, VERRATEN UND VERKAUFT) erinnerndes Drama, das souverän die Grenzen des Mediums auslotet und den Zuschauer zu bedingungsloser Teilnahme auffordert. Ein Film wie SIEBEN HIMMEL muss unzeitgemäß erscheinen, obwohl er so viel mit dem Unglück seiner Zeit zu tun hat, denn nur so lässt sich eine Distanz herstellen, die einen neuen Blick auf eine Welt garantiert, der bereits die Idee einer Transzendenz suspekt erscheint. SIEBEN HIMMEL bietet keine Lösungen, aber er ist eine Hoffnung: ein kurzes, verlockendes Blitzen im rauschenden Ozean der Medienwelt. Es lohnt sich, danach Ausschau zu halten.

Marcus Stiglegger

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Anm.: Mein Dank gilt dem Filmemacher Michael Busch für wertvolle Hinweise wie Sorakey für Diskussionsbereitschaft.