Gunnar Landsgesell / Andreas Ungerböck (Hg.)

Spike Lee (film: 14)

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304 Seiten, 242 Fotos, Hardcover, 17 x 22 cm, Preis: EUR 25,00, Evtl. zzgl. Versandkosten, Artikel-Nr. 3-929470-87-X

Seit gut zwanzig Jahren verbindet der afroamerikanischen Filmemacher Spike Lee politische Analyse und Dekonstruktion tradierter Erzählmuster zu einem Kino zwischen reservierter Didaktik und aufwühlendem Moralismus. Auch mit seinem aktuellen Werk INSIDE MAN (USA 2006) behauptet sich Lee zwischen Studio-Produktion und Independent-Ästhetik im „Mainstream der Minderheiten“ (Holert/Terkessidis) als primär New Yorker Regisseur, welcher zunehmend transethnische Problemfelder diskursiviert.

Der Berliner Verlag Bertz + Fischer bringt pünktlich zum Kinostart von INSIDE MAN die erste deutschsprachige Monographie zu Spike Lee auf den Markt. Ein Team internationaler Autoren analysiert Oeuvre und Bedeutung des einflussreichen Filmemachers. Der fundamentalen Streitbarkeit von Lee wird dabei durchaus Rechung getragen: Sowohl seine Gegner, welche ihn als antisemitischen, sexistischen und geltungssüchtigen Kapitalisten verabscheuen, als auch seine Anhänger, die in Lee einen kompromisslosen Kritiker und genialen Cineasten sehen, kommen ausführlich zu Wort. Freilich dominieren unter dem Strich aber positive Würdigungen einen Band, welcher in seiner Textauswahl die erbitterten Kontroversen um Lee letzten Endes auf basale Vielschichtigkeit herunter bricht.

Sheril D. Antonio befasst sich in ihrem Beitrag „New Black Cinema und Assimilation“ mit der Öffnung Spike Lees gegenüber Themen jenseits der „black community“ und begreift seine Filme als Form kulturellen Austausches, welche sich durch einen „offenen und vorurteilsfreien Blick“ (S. 21) auszeichne. Douglas Kellner würdigt Lee als modernen Filmemacher, der in Nachfolge Bertolt Brechts ein episches Kino realisiere, das „eine große Bandbreite sozialer Typen kenn[e], Beispiele sozialen Verhaltens zeig[e] und didaktische Botschaften an das Publikum“ (S. 94) adressiere. Lee präferiere jedoch moralische Positionen stets gegenüber politischen, so dass seine Filme eher „morality tales“ als politische Lehrstücke seien. Damit schaffe Lee zwar kein antihegemoniales Kino, provokative Interventionen jenseits von glatten Genreproduktionen würden ihm aber gelingen.

Kritische Ansätze finden sich vor allem in dem Beitrag von Alice Ludvig und einem Interview mit Amiri Baraka. Ludvig untersucht die Repräsentation von Frauenrollen in Spike Lees Filmen und kommt zu einem ernüchternden Fazit: „Frauen sind in der Regel austauschbar und treiben weder die Handlung voran, noch stehen sie in deren Mittelpunkt. Lees Frauen bestechen besonders durch ihre Äußerlichkeiten und werden auf festgefahrene Darstellungen heterosexueller weiblicher Sexualität reduziert“ (S. 109). Lediglich in GIRL 6 (USA 1996) reüssiere Lee zum Teil in einer vielfältigen bildlichen Darstellung schwarzer Frauen, bleibe aber auf narrativer Ebene gleichfalls stereotypen und reaktionären Klischees verhaftet. Amiri Baraka wirft Lee vor, „keine authentischen Filme“ (S. 154) zu machen und beschuldigt ihn, zu lügen, wenn Lee sich als unabhängiger Regisseur bezeichne. Stattdessen diene die Oberflächlichkeit von Lees Zugang der herrschenden weißen Klasse und leiste einer repressiven Toleranz Vorschub.

In Aufsätzen zu Spike Lees filmischer Topographie von New York City (Ed Guerrero), zu Lees kinematographischem Stil (Holger Römers) oder Spike Lees Arbeit im „Post Black Cinema“ (Gunnar Landsgesell) werden kritische Perspektiven zugunsten würdigender Hommagen wieder novelliert. Auch die kommentierte Filmographie des Bandes, welche von namhaften Autoren wie Katja Nicodemus, Georg Seeßlen, Norbert Grob, Jan Distelmeyer oder Marcus Stiglegger bestritten wird, zeichnet sich auf hohem stilistischen und argumentativem Niveau weitgehend durch konsensuelle Kanonbildung aus.

Die Herausgeber charakterisieren Politik im Sinne von Spike Lee als „Verhandeln und Sichtbahrmachen von gegensätzlichen Positionen, die auch in diesem Buch nicht durch These/Antithese/Synthese aufgelöst werden sollen“ (S. 12). Analog zu Spike Lees Filmen ist auch der vorliegende Band ein Exponent post-dialektischen Denkens. Die gesellschaftliche Funktion einer radikalen Kritik des Bestehenden wollen und können beide gleichsam nicht leisten. Damit stellen sie sich zur Diskussion im kontroversen Spannungsfeld zwischen ästhetischer und politischer Linke, die eine souveräne Positionierung des Lesers stets aufs Neue einfordert.

rit