Marcus Stiglegger (Hrsg.)

Birthe Klementowski – Stille / Silence
Euthanasie in Hadamar 1941-1945

Vorwort von Dr. Georg Lilienthal, Leiter der Gedenkstätte Hadamar
Media-Book, Hardback, 52 Seiten, ca. 26 sw-Fotos, Audio-CD

:Ikonen: Media
VK 19,90 Euro

ISBN 978-3-86505-195-0

Zwischen 1941 und 1945 wurden im Rahmen des Euthanasieprojektes der Nationalsozialisten vermeintlich geistig Behinderte und Geisteskranke in mehreren dafür eigens eingerichteten Tötungsanstalten ermordet. Darunter waren nicht nur Menschen mit angeborener körperlicher oder geistiger Behinderung, sondern auch solche mit Depressionen, Front- oder Bombentraumata und viele andere. Die größte dieser Anstalten lag im hessischen Hadamar und ist ein bis heute fast unberührtes Dokument dieser Zeit.

Das multimediale Kunstprojekt „Stille / Silence“ der jungen Fotokünstlerin Birthe Klementowski ist das erste Kunstprojekt, das dieses historische Verbrechen in Klang und Bild thematisiert. Die kühlen, sorgsam komponierten Schwarzweißfotos dokumentieren, was heute noch von der Tötungsanstalt zu sehen ist. Kurze Kommentare in deutsch und englisch erläutern die Motive. Die gleichnamige Komposition auf der begleitenden CD untermalt den visuellen Anteil mit minimalistischen elektroakustischen Klangwelten.

Das von dem Kulturwissenschaftler Dr. Marcus Stiglegger (Universität Siegen) herausgegebene Buch dokumentiert dieses Kunstprojekt und ergänzt das Material mit einem Interview und einem Vorwort des leiters der Gedenkstätte Hadamar Dr. Georg Lilienthal.

Die Fotografin Birthe Klementowski (*1983) hat bislang zahlreiche Alben- und Magazincover gestaltet und wurde mit Beiträgen in „Konkursbuch 47: Der erotische Blick“ (2008) und dem Magazin :Ikonen: gewürdigt.

Pressestimmen:

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DIE LEERE ALS VERMÄCHTNIS

"Die ankommenden Kranken wurden ausgezogen, gemessen, fotografiert, gewogen und zur Untersuchung gebracht."

Kalte und unwirtliche Räume prägen die Schwarz-Weiß-Aufnahmen, während dunkle, sich langsam entfaltende atmosphärische Klänge die entsprechende Komposition bestimmen. Schatten fallen auf erdrückende Mauern, keine Stimmen sind zu hören, wie auch keine Menschen zu sehen sind. Viele Projekte, die sich mit historischen Entwicklungen beschäftigen, nutzen inzwischen gezielt auch personifizierte Erfahrungsebenen zur Vermittlung. Hier ist es die Leere, die ein historisches Ereignis aus der Abstraktion löst und eine emotionale Ebene eröffnet.

"Die zur Euthanasie bestimmten Personen wurden sofort vergast."

Birthe Klementowski (Fotos) und Marcus Stiglegger (Musik) setzen sich in dem Multimediaprojekt "Stille / Silence" mit den nationalsozialistischen Euthanasie-Morden in der "Heilanstalt" in Hadamar (bei Limburg) in den Jahren 1941 bis 1945 auseinander. Der sozialdarwinistische Wahn unterteilte die Menschen und sprach ein Todesurteil gegenüber denen aus, die den Vorgaben nicht entsprachen. Rund 14.500 Menschen, die als psychisch krank oder behindert kategorisiert wurden, kamen in dieser Zeit alleine in Hadamar ums Leben. Der künstlerischen Auseinandersetzung wird ein Text von Georg Lilienthal, dem Leiter der heutigen Gedenkstätte, zur Seite gestellt, der auf den historischen Kontext sachlich eingeht.

"Die Arbeit wurde je nach Bedarf Tag und Nacht fortgeführt."

Eine zusätzliche Tiefe entfalten die Fotoaufnahmen durch die beigestellten Originalzitate zu den Euthanasie-Programmen in verschiedenen Anstalten. In einer kaum erträglichen Sachlichkeit beschreiben diese Ausführungen die mechanisierten Tötungsprozesse. Sie spiegeln das Denken der Mörder, die später immer wieder ihre Verantwortung leugnen werden und darauf verweisen, dass sie nur Befehle ausgeführt haben. Es sind Zitate von Bürokraten, die an ihren Schreibtischen die Kosten für jeden einzelnen Mord penibel berechneten. Es sind Zitate von Anstaltsangestellten, die nach getaner Arbeit abends in ihrer bürgerlichen Scheinidylle mit der Familie gedankenlos zusammen saßen. Es sind Zitate von Massenmördern, die bereitwillig in einem zutiefst Menschen verachtenden System funktionierten.

"Die Verbrennungszeit für eine magere Leiche ist größer, als für eine Wohlgenährte."

Vertreter der Kritischen Theorie beschrieben einst den anerzogenen "Autoritären Charakter", der an Machtstrukturen ausgerichtet ist und gehorsam die persönliche Verantwortung ignoriert, als eine wesentliche Vorraussetzung für derartige Verbrechen. In diesem Sinne beinhaltet eine tatsächlich tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus immer auch die zukunftsweisende Forderung nach einer Gesellschaft, die auf kritischer Mündigkeit basiert, und insbesondere auch ein konsequentes antifaschistisches Engagement in der Gegenwart.

Wolfgang Sterneck
www.sterneck.net
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Birthe Klementowski hat mit diesem Fotoband und der beiliegenden CD nun ihre Eindrücke dieses Ort des Schreckens in visueller wie auch in akustischer Form zum Ausdruck gebracht. Die Schwarzweissfotos der 1983 gegründeten Gedenkstätte vermitteln in eindrucksvoller Form das ganze Grauen dieses Ortes und die Perversion der Selektion in lebenswertes und –unwertes Leben, all dies vor dem Hintergrund der Nürnberger Rassengesetze. [...] Die beiliegende CD und die vier Kompositionen, alle komponiert von der Dark Ambient-Formation Vortex, vertiefen durch ihre getragenen und grösstenteils sehr minimalistisch gehaltenen Strukturen den beklemmenden Eindruck, den die Beschäftigung mit solch einem Thema zwangsläufig hervorruft. Dabei greifen der visuelle wie der akustische Teil dieser Dokumentation perfekt ineinander. (Michael Kuhlen, Obliveon.de)

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Photographisch (inklusiver kleiner Bildbeschreibung) zeigt Birthe Klementowski den Weg der Menschen (hier liegt die Betonung) auf, welche nach der NS-Rassehygiene, aufgrund geistiger Behinderung & psychischer Krankheiten, kein Recht auf Leben beschieden war. Die Aufnahmen für diese sehr anschauliche Bilderreihe entstanden in der ehemaligen Tötungsanstalt und heutigen Gedenkstätte Hadamar, einer der 6 Gasmordanstalten, wo unzählige Menschen mit angeblich schädlichem Erbgut ihr Leben (in Hadamar knapp 15.000) ließen. Alle von der Künstlerin eingefangenen Motive (passend in schwarzweiß) kommen unverfälscht ohne zusätzliche Beleuchtung aus und offenbaren die traurige Realität, welche die fabrikartige Tötung von Lebewesen vor Augen führen, die absolute Stille, Anteilnahme wie Betroffenheit auslösen, wenn sich die Betrachter(innen) auf das unglaubliche Horrorszenario von damals einlassen, das verhindert hätte werden können, wenn die Deutschen das Buch des Österreichers (Adolf Hitler – Mein Kampf, 1925) gründlich studiert hätten, wo er diesen Wahnsinn schon teilweise propagiert (Anmerkung, keine Schuldzuweisung!).

Eine mehr als gelungene musikalische Untermalung zauberte das Ein-Mann Projekt Vortex, das mittels einer bedrohlich zerstörerischen Symbiose aus Dark Ambient und Drones eine Atmosphäre schafft, die die von Birthe Klementowski vermittelten Eindrücke verstärken & prägen. Gerade das Zusammenspiel aus Bildkunst & Tonkunst macht “Stille || Silence” zu einem absoluten Highlight für Konzeptfreaks, die hier einen bisher wenig bis fast gar nicht verarbeiteten Inhalt geboten bekommen, der auch noch nach der x-ten Begutachtung Verstörung hinterlässt.

Das hervorragende Gesamtpaket von “Stille || Silence” runden eine Einleitung von Dr. Georg Lilienthal, dem Leiter der Gedenkstätte Hadamar & ein Interview mit Birthe Klementowski ab.

Fazit: Birthe Klementowski veröffentlicht in Zusammenarbeit mit Dr. Marcus Stiglegger eine ergreifende Publikation zum Thema Euthanasie, die sich fernab der populären Geschichtsaufarbeitungen bewegt, welche in keiner Sekunde die Bedrückung bzw. Beklemmung auslösen wie es “Stille || Silence” von Anfang bis Ende schafft – meine absolute Empfehlung! PS: In meinen Augen weist uns “Stille || Silence” den richtigen Weg, wie wir (gerade jüngere) Menschen wieder für Geschichte sensibilisieren können! Heißt, den Stempel “pädagogisch wertvoll” gibt es verdientermaßen für “Stille || Silence” auch, das in der Oberstufe bestimmt mehr Aufmerksamkeit einfährt, als ein schnöder Film oder Vortrag zu diesem sehr dunklen Kapitel der Deutschen Geschichte!
(Rafael Feldmann, kulturterrorismus.de)