Das Soziale am Terror:

Terrorismus als soziales System

Peter Fuchs, 2004: Das System „Terror“. Versuch über eine kommunikative Eskalation der Moderne. Bielefeld: Transcript. ISBN 3-89942-247-3, 120 Seiten, € 13,80.

„Terror, und das mag schon eines seiner Merkmale sein, ist komplett humorlos“ (S. 13). Peter Fuchs irritiert den Leser bereits in den wenigen Seiten der Einleitung, reizt ihn mit seiner Haltung, Terrorismus hochabstrakt vor dem Hintergrund systemtheoretischer Annahmen (vornehmlich Niklas Luhmann) zu lesen. Ihn interessiert die Funktion von Terrorismus in der Weltgesellschaft. „Mit der Entscheidung, Terror als System zu begreife, ist auch die Entscheidung gefallen, ihn als Sozialsystem aufzufassen. Das ist [...] ein System, das kein Bewusstsein enthält, weder gut noch böse sein kann, nichts wahrnimmt, blind und taub ist. [...] Wenn wir also von Terror als System reden, reden wir nicht mehr über Gut und Böse“ (S. 11). Damit wendet sich Fuchs auch bewusst von den Resultaten terroristischer Anschläge ab: „In der Welt wird gestorben, gelitten, getrauert. Keine Theorie kann das in sich spiegeln. All dieses Sterben, Leiden, Trauern [...] ist, wie es sich abspielt, nicht theoriefähig. Es ist auch nicht 'System’“ (S. 13). Dies liegt systemtheoretisch darin begründet, dass Körper nicht zu einem sozialen System gehören. Der Angriff auf den Körper durch Terrorismus ist – so Fuchs – lediglich Umweg, um andere Sozialsysteme zu treffen, die selbst – da ebenfalls Körperlos – nicht zu treffen sind.
Die Interpretation als Sozialsystem impliziert bereits die Auffassung von Terrorismus als Kommunikation. In der Systemtheorie wird Kommunikation als fortwährende Synthese aus Information, Mitteilung und Verstehen/Anschlusskommunikation verstanden. Daher ist es „wichtig festzuhalten, daß die terroristische Tat nicht selbst (sozusagen an sich) die Mitteilung einer Information ist. Sie ist auch keine Kommunikation, so wenig, wie Bücher, Bilder oder Äußerungen von Leuten schon Kommunikationen sind. Sie wird Moment der kommunikativen Operation, wenn sie sozial verstanden wird, wenn also weitere Ereignisse (die genauso beobachtet werden) die terroristische Tat aufnehmen als etwas, wozu sozial (das heißt: kommunikativ) ein Verhältnis gewonnen werden muß“ (S. 20). Fuchs kommt so zu einer sehr interessanten systemtheoretischen Interpretation , die den Begriff des Terror deutlich erweitert: „In letzter Konsequenz heißt das, daß die Anschlüsse durch Massenmedien, aber auch die Anschlüsse, die der Abwehr von Terror dienen, die Kontrolle auf Flugplätzen, sogar Antiterror-Kriege etc. selbst zum Terror gehören. Sie supplementieren ihn. Die terroristische Operation wäre nicht perfekt, wenn das Ende, das sie inszeniert, tatsächlich ein Ende wäre. Das soll nicht bedeuten, daß all diese Anschlüsse den Terror billigen. Aber erst durch sie wird Terror als Sozialsystem möglich. Übrigens ist es gut, daß die Theorie, die wir hier zugrundelegen, diesen Blick auf das Terroristische des Nicht-Terroristischen eröffnet. Wir lassen uns nicht hypnotisieren durch den Blick auf die Taten, die Akte, die Resultate. Von Operationen sprechen wir in der Systemtheorie ja dann und nur dann, wenn ein System im Spiel ist“ (S. 24).

Natürlich stellt sich sofort die Fragen nach der (nicht telelogisch verstandenen) Funktion, dem Code (Schuld/Unschuld) und dem Medium (Eskalation) des Systems Terror. Die Schlussfolgerungen sind hoch abstrakt und für einen mit systemtheoretischem Denken nicht vertrauten Lesen streckenweise wahrscheinlich nicht nachvollziehbar, z.B., wenn Fuchs die Operation des Terrorismus als „Beenden von Kommunikation als Beobachtungserzwingung, die die Kommunikation fortsetzt“ (S. 113) beschreibt.

Terrorismus kann man laut Fuchs als Sozialsystem zunächst wie folgt beschreiben: „Terror kämpft gegen Windmühlenflügel und ist in dieser Hinsicht eine evidente Donquichotterie. Das System muß deswegen [...] eine 'Umwegigkeit’ inszenieren, die im Effekt über eskalierende Attacken gegen unschuldige Körper (und Dinge) Resonanz in der Gesellschaft produziert, das dann mit Hilfe des Kopplungsfavoriten der Massenmedien, die – zur Beobachtung gezwungen – eine unkontrollierbare Streuung dieser Beobachtung erzwingen“ (S. 87). Er fasst Terror als parasitäres System auf, dass sich an den Rändern funktionaldifferenzierter Gesellschaften bildet. Interessant ist sein Hinweis, dass man zur Bekämpfung des Terrorismus nach seinen funktionalen Äquivalenten fragen solle. Leider führt er dazu keine Ideen an.

Fuchs Theoretisierung von Terror als sozialem System liefern eine Fülle interessanter Gedanken und Interpretationen, also eine Vielzahl von Anschlussmöglichkeiten von Kommunikation. Lesern, die in der Systemtheorie nicht bewandert sind, wird der Zugang dazu wahrscheinlich nicht sehr einfach fallen, dazu ist die Systemtheorie zu eigenwillig. Daher sei dieser Band vor allem denjenigen empfohlen, die sich auf diesem Gebiet bereits etwas auskennen.

Christian Hißnauer