Xavier Mendik und Steven Jay Schneider (Hrsg.)

Underground USA
Filmmaking Beyond the Hollywood Canon

London: Wallflower Press 2002,
224 Seiten, sw. Abb., ISBN 1-903364-49-3

In Zeiten, in denen sich das amerikanische Mainstreamkino ganz auf die Kriegspropaganda seiner Regierung eingeschossen hat, kommt ein Buch, das an die große Zeit des amerikanischen Undergroundfilms erinnert, gerade richtig. Die Herausgeber sind jeder auf seine Weise Autoritäten auf dem Gebiet alternativer Filmforschung: Xavier Mendik leitet das Cult Film Archive der Universität Northampton und Steven Jay Schneider, Dozent an der New York University, ist bislang mit anspruchsvollen Publikationen zu Thema Horror hervorgetreten (bald kommt sein lange erwartetes Buch „Fear Without Frontiers. Horror in the World Cinema“). Die Herausgeber betonen die wichtige Stellung der unabhängig produzierten Undergroundfilms in der amerikanischen Filmkultur, wobei sei unterschiedliche Bereiche wie Kultfilme, Exploitation oder Independentkino dazu zählen. Von einem klar definierbaren Kanon lässt sich also nicht sprechen. Sowohl die Produktionskategorien wie auch der Umgang dieser Filme mit Sexualität und Gewalt unterscheiden sich mitunter eklatant vom Mainstreamkino. Wichtig ist dieses Buch vor allem deshalb, weil die teils enge Verknüpfung von Experimental- und Exploitationfilm herausarbeitet: Offenbar war es einigen avancierten Filmemachern nur möglich, ihre Projekte zu finanzieren, wenn dies im Rahmen eines sensationsbetonten Expolitationsfilms stattfand. Solche Phänomene lassen sich im Genrekino und dem B- und C-Film seit den 40er Jahren beobachten.

Mit Joan Hawkins Aufsatz über Abel Ferraras THE ADDICTION findet man hier einen hervorragenden Einstieg: Die Autorin analysiert den Zusammenhang zwischen Philosophie, Sucht und Vampirmotiven in diesem unbequemen Grenzgänger zwischen Genrekino und „theoretical fiction“, wie sie es nennt. - In Deutschland fast vergessen ist der Sexfilm-Regisseur Radley Metzger, der mit viel Stil und aufwändigen Breitwandbildern einen „Sexfilm für die Mittelklasse“ entwickelte, so Elena Gorfinkels These. – Die neben Kenneth Anger und Maya Deren legendärste Underground-Ikone Amerikas ist zweifellos Curtis Harrington, der die elementare Struktur des Horrorkinos vorwegnahm, um später selbst meldodramatische und märchenhafte Varainten dieses Genres zu inszenieren (WHAT’S THE MATTER WITH HELEN?, WHOEVER SLEW AUNTIE ROO?). – Gleich zwei Autoren, Tony Williams und Joel Black, nehmen sich Larry Cohens „Snuff“-Thriller SPECIAL EFFECTS (HOLLYWOOD KILLS) an, in dem das inzwischen verstorbene Model Zoe Tamerlis Lund eine Doppelrolle spielt. Das Phänomen des vermeintlich „realistischen Horrors“ gehört zu einer langlebigen Legende des Underground-Kinos.

Zu den weiteren behandelten Themen gehören Andy Warhols BLOW JOB, Melvin van Peebles legendäre Black-Cinema-Beträge der siebziger Jahre, Doris Wishmans rauhe Porno-Avantgarde, amerikanische Bikerfilme, der Splatterpionier Herschell Gordon Lewis und immer wieder die Versuche, ein „transgressives Kino“ im Sinne Georges Batailles zu etablieren (Nick Zedd etc.).

Wer sich mit diesen Themen, die auf ihre Weise miteinander korrespondieren, auseinandersetzen möchte, sollte auf dieses Buch zurückgreifen. Die Texte sind fast durchweg auf filmwissenschaftlich hohem Niveau geschrieben und bemühen sich ernsthaft um eine Analyse vergessener und vernachlässigter Filme. Ein kleiner Kritikpunkt sind die stellenweise miserabel aufgelösten Illustrationen, die nicht zum ansonsten sorgfältigen und originellen Layout des Buches passen. Diese Buch läutet die neue Reihe AlterImage bei Wallflower Press ein, die sich um populäres und kultiges Weltkino bemühen möchte. Man kann also gespannt sein.

Marcus Stiglegger