Michael Verhoeven-Box bei Kinowelt

4,5 / 5 Sterne

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Die 4-DVD-Box enthält folgende Filme:

Die weiße Rose

Das schreckliche Mädchen

Mutters Courage

Die Verhoevens (Dokumentarfilm und Bonus)

Der deutsche Filmemacher Michael Verhoeven entstammt einer ganzen Dynastie von Filmschaffenden: sein Vater Paul Verhoeven galt als einer großen Unterhaltungsregisseure des Dritten Reiches und der Nachkriegszeit, seine Frau Senta Berger hatte in den sechziger und siebziger Jahren den Status eines Hollywoodstars, und auch seine Geschwister und Kinder haben sich im Film- und Theatergeschäft etabliert. 1970 erregte die Uraufführung der Vietnamkriegsparabel O.K. von Michael Verhoeven einen Skandal: aufgrund amerikanischer Proteste wurden die Berliner Filmfestspiele buchstäblich abgebrochen und ohne Sieger beendet. In dieser nach Deutschland verlegten, historischen Geschichte von amerikanischen Kriegsverbrechen in Vietnam (später verfilmt als DIE VERDAMMTEN DES KRIEGES von Brian de Palma) wird Verhoevens humanistisch-aufklärerischer Ansatz deutlich: Mit brechtschen Stilmitteln will er aufrütteln, informieren und sein Publikum zum Nachdenken anregen.

Die nun von Kinowelt in Zusammenarbeit mit ARTE und absolut medien herausgebrachte 4-DVD-Box "Michael Verhoeven" enthält jedoch nicht dessen Frühwerk (u.a. PAARUNGEN, 1968), das noch dem Neuen Deutschen Film zugerechnet wird, sondern seine Trilogie zur Aufarbeitung der Geschichte und der Nachwirkungen des Dritten Reiches.

DIE WEISSE ROSE (1982) kann als ultimativer Spielfilm über den Widerstand im Nationalsozialismus gelten: Historisch sorgfältig rekonstruiert wird hier die Geschichte einiger Münchner Studenten erzählt, die während des 2. Weltkrieges zum Widerstand gegen das regime aufrufen. Interessant ist, dass der Film hier äußerst plausibel deren Motivation zum 'Widerstand von Innen' nachvollziehbar macht. Der Film wird in einer vom Regisseur eingeleiteten Version präsentiert, die technisch den Umständen entsprechend gelungen ist. Bildformat und Monoton wurden bewahrt. Interessant ist vor allem ein langes Interview mit dem Regisseur, in dem er sich über die Recherche äußert sowie den Rechtsstreit erklärt, den der Abspann des Films auslöste: Dort wird besagt, dass die Todesurteile gegen die jugendlichen Widerständler noch heute rechtskräftig seien, da der "Volksgerichtshof" der Nazis als ordentliches Gericht anerkannt war. Erst 1985 wurde ihm dieser Status aberkannt. DIE WEISSE ROSE ist vermutlich einer wichtigsten Spielfilme über deutsche Vergangenheit und kann hier für ein jüngeren Publikum umfassend erschlossen werden.

DAS SCHRECKLICHE MÄDCHEN (1990), ebenfalls mit Lena Stolze in der Titelrolle, schlägt einen deutlich satirischen Ton an. Hier gerät eine Schülerin mit der Verwaltung einer bayrischen Stadt in Konflikt, als sie deren nationalsozialistische Vergangenheit erforschen will. Der kabaretthafte Stil des Films wird nicht bei jedem auf Verständnis stoßen und kam bereits bei der Premiere im Ausland besser an als in Deutschland. Dabei ist das Thema durchaus faszinierend: Eine Schülerin bzw. Studentin gegen eine verfahrene Kommunalpolitik, der Kampf gegen die Verdrängung der Vergangenheit... Verhoevens begleitender Dokumentarfilm DAS MÄDCHEN UND DIE STADT interviewt die realen Beteiligten und bleibt in mancherlei Hinsicht die effektivere Aufarbeitung des Themas.

Etwas zwiespältig - wenn auch ebenso sorgfältig editiert - ist die DVD mit MUTTERS COURAGE (1995), einem ironischen Historienspiel über die Mutter des Schriftstellers George Tabori, die durch die persönliche Zuwendung eines SS-Mannes (Ulrich Tukur) der Deportation entfliehen kann. Hier arbeitet Verhoeven zwar wieder mit dem kinotypischen Breitwandformat und sorgfältig rekonstruierter Ausstattung, die Kommentare des realen Tabori, der die Szenereie gelegentlich betritt, brechen jedoch die Illusion und bekräftigen den brechtschen Gestus von Verhoevens Regie. Da es sich um den aktuellsten Film der Trilogie handelt, ist die Fülle an Bonusmaterial reicher als bei den anderen DVDs: ein Making Of, lange Interviews, ein Film über Tabori, ein Kurzfilme mit Tabori sowie gekürzte Szenen werden geboten. In der Einführung der Deleted Scenes erklärt Verhoeven, dass er einige Szenen nach der Premiere gekürzt hatte, die vom Publikum offenbar mißverstanden wurden, darunter die sexuelle Belästigung der Hauptdarstellerin im Zug. Sowohl Verhoeven als auch Tabori waren nicht glücklich mit diesen Zensurschnitten - dennoch wurden die Szenen nicht ins Gesamtwerk re-integriert, sondern liegen nur noch als Fernseh-Vollbildabtastung vor. So kann man den Film selbst leider nur in seiner Kinoversion bewundern. Dass es sich hier dennoch um einen der originellsten Spielfilme zum Thema handelt, ist unumstritten.

Die vierte DVD der Box enthält einen unterhaltsamen 75-minütigen Dokumentarfilm über die verflochtenen Karrieren der Verhoeven-Familie sowie - und das ist bemerkenswert -, den Dokumentarfilm DIE KLEINE SCHWESTER (2001) über die noch lebende Schwester des Weiße-Rose-Mitgliedes Willi Graf, die dessen Andenken am Leben hält und zahlreiche interessante Fakten zum Thema beisteuert. Dieser spannende Interviewfilm wäre auch als Bonusmaterial zur ersten DVD geeignet.

Neben der Werner-Herzog-Edition macht sich Kinowelt also auch mit dieser stilvoll-schlicht gestalteten DVD-Box um die Pflege des deutschen Kinos verdient. Diese Ausgabe ist mit allem umfassenden Zusatzmaterial für alle historisch interessierten Zuschauer unentbehrlich. Zahlreiches Material darin eignet sich auch für den Einsatz in Schule und Universität.

Marcus Stiglegger