Von Magnet

Archipielagos

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Label: Ant-Zen
Format: digipak
Veröffentlichung: 23. Oktober 2012

Archipele sind der Definition nach inselreiche Meeresregionen. Obwohl ihre Inseln nicht selten eng beisammen liegen und durch ihre Nähe zueinander das Archipel überhaupt erst konstituieren, hat schon Charles Darwin durch seine Untersuchungen auf den Galapagos-Inseln entdeckt wie unterschiedlich Flora und Fauna dieser Nachbarinseln sein können. Evolutionär trennt die Eiländer also mehr, als die wenigen Kilometer Wasser zwischen ihnen auf den ersten Blick vermuten ließen.

„Archipielagos“ – so lautet der Titel des aktuellen Albums des Avantgarde-Kollektivs Von Magnet. 1985 gegründet, kann die Gruppe mittlerweile nicht nur auf eine umfangreiche Diskographie zurückblicken, sondern auch auf zahlreiche Stilwechsel. Post-Industrial trifft bei Von Magnet auf Flamenco, orientalische Rhythmen auf Fusion-Jazz Versatzstücke, und düstere Vocals auf rituelle Gesänge. Auf „Archipielagos“ treten diese Elemente nebeneinander, gleichzeitig und in Kombination auf, und genau wie bei den Inseln eines Archipels, liegen zwischen den einzelnen Facetten dabei teils große Unterschiede. Dennoch ist das Album ein Guss, wird durch eine verbindende Grundstimmung zusammengehalten und ist durch einen stark rhythmischen Gestus geprägt. Die Rhythmik verweist auf den performativen Schwerpunkt der Gruppe, die stets nicht nur ein Musiker-Kollektiv war, sondern Performance, Tanz und Theater umfasste, was in den Kompositionen einen durchaus hörbaren Niederschlag gefunden hat. Durch ihre teils mechanischen, teils orientalischen Rhythmusfiguren durchströmt die Stücke eine eindringliche Performanz.

Das Album beginnt mit dem Titeltrack: Stimmen sprechen durcheinander, Synthesizermodulationen beginnen eine bedrohliche Kulisse aufzubauen, vor der sich erst zögerlich, dann immer konkreter ein Beat aufbaut. Schon im ersten Stück verbindet sich eine cleane Jazz-Gitarre mit orientalischen Einschlägen und Streicher umspielen das elektronische Sounddesign. Der dritte Track „quittez vous!“ flirtet mit dem französischen Chanson ohne jedoch seine Nähe zum Industrial, die durch monotone Bässe und dissonante Synths bezeugt wird, zu verleugnen. Mit dem siebten Stück „als waer’s das letzte mal“ interpretieren Von Magnet einen Song der legendären DAF. Der zehnte Song „your slave“ gehört zu den Höhepunkten des Albums: repetitve Spokenwords durchziehen die Komposition mit einer fast mantra-esquen Beharrlichkeit und erzeugen eine bedrohliches Szenario. Abgeschlossen wird „Archipielagos“ mit dem Stück „alma muda“. Minimalistische Akkordeon-Synthesizer-Flächen werden hier von stoischen Rhythmen strukturiert, über denen sich ein verzweifelter und klagender Gesang ausbreitet, der entfernt an den Avantgarde Chansonier Ghédalia Tazartès erinnert.

„Archipielagos“ ist ein tiefes Album, dessen unterschiedliche Dimensionen nur schrittweise erschlossen werden können. Wie im Dickicht unentdeckter Inselwälder muss der Hörer sich einen Weg bahnen und die vielen Entdeckungen sorgsam ordnen. Besonders die Integration der orientalischen Elemente in Harmonie und Rhythmik verleiht den Kompositionen einen einzigartigen Charakter und gestaltet sich als Dialog zwischen verschiedenen kulturellen Traditionen. Ant-Zen hat das Werk in einem stilvoll gestalteten digipak veröffentlicht, dessen Frontcover einen halb unter Erde begrabenen Körper zeigt, dessen Glieder wie Inseln aus dem unwirklichen Untergrund ragen. Dieses Bild symbolisiert Fragmentierung, Auflösung und Schöpfung gleichermaßen. Der aus Ackerboden geschaffene Adam verbindet sich in dieser Darstellung ikonisch mit dem Archipel, jenem prototypischen Herkunftsort der darwinschen Evolutionstheorie. Ein uneingeschränkt empfehlenswertes Werk.

Patrick Kilian