Jürgen Felix (Hrsg.):
Die Postmoderne im Kino.
Ein Reader, Marburg:
Schüren 2002,
320 Seiten.
ISBN 3-89472-325-4,
19,80 Euro

Der Herausgeber dieses neuen Schüren-Bandes, der Filmwissenschaftler Jürgen Felix, hat sich bereits seit Jahren um eine Bestandsaufnahme der filmischen Postmoderne bemüht und verdient gemacht. In zahlreichen eigenen Artikeln, Vorträgen und Seminaren untersuchte er Werke von David Lynch, Luc Besson, Peter Greenaway, den Coen-Brüdern und Jim Jarmusch. Dieser erste Band der von ihm und Norbert Grob ins Leben gerufenen Filmtheorie-Reihe „Kino-Debatten“ soll diesen Bemühungen nun Rechnung tragen und legt eine Zusammenstellung grundlegender Forschungsansätze zur Postmoderne des Kinos in den achtziger und neunziger Jahren vor. Darunter finden sich längst klassische Texte wie Jean Baudrillards „Geschichte, ein Rétro-Szenario“, Umberto Ecos CASABLANCA-Aufsatz und Frederic Jamesons vielschichtige Lesart von Jean-Jacques Beineix‘ DIVA, dem ersten Beispiel des cinéma du look. Manche Texte, wie Peter W. Jansens „Einer mit Herz“ oder Georg Seeßlens Lynch-Anmerkungen, sind schlicht Filminterpretationen aus älteren Büchern, andere entstammen längst vergriffenen Magazinen, was bei Klaus Kreimeiers WILD AT HEART-Aufsatz, der einst in medienpraktisch erschienen war, durchaus einer 'Rettung‘ des Textes entspricht. Bemerkenswert ist die erste Übersetzung von Giuliana Brunos BLADE RUNNER-Interpretation, die wiederum Bezug auf Jameson nimmt. Und auch der obligatorische Feminismus-Ansatz von Barbara Creed ist brauchbar. Thomas Elsaesser und Marsha Kinder widmen sich beide eingehend dem Neuen deutschen Film, den man zunächst nicht in diesem Kontext vermuten würde, doch schnell wird deutlich, dass gerade Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder mit ihren Rétro-Szenarien und Nostalgie-Ansätzen durchaus postmoderne Strategien nutzten. Ein Resüme seiner eigenen Erkenntnisse bietet der Herausgeber selbst in dem programmatisch betitelten Text „Ironie und Identifikation“, der eingehende Beschreibungen von SUBWAY, BETTY BLUE und BLUE VELVET bietet. Der Autor bietet hier eine lobenswerte Klarheit in der Illustration seiner Thesen und beweist hervorragende Recherche und Faktendichte. Andere Texte fallen weniger befriedigend aus: E. Ann Kaplan nimmt sich „alternative Videokunst von Frauen“ vor und erschöpft sich in Beispielen, die nicht gerade geläufig sein dürften, was die Lektüre des Textes eher unergiebig macht. Selbst postmodern in der Konstruktion ist der poptheoretische Aufsatz „Das Action-Kammerspiel“ aus dem inzwischen eingestellten Magazin Meteor, der endlose Reihen von Filmtiteln aufführt. Bei Steven Shaviro hat Kumulation bekanntlich Methode, und vielleicht hätte man lieber einen Text aus seinem Werk The Cinematic Body nehmen sollen als das vorliegende Patchwork. Rainer Rother und Norbert Grob runden den Band mit eher deskriptiven filmhistorischen Anmerkungen ab und Petra Maria Meyer redet am Ende den zweifellos postmodernen und ohnehin bereits überschätzten MATRIX einmal mehr in den Theorie-Himmel. Dabei sollte es nun bitte bleiben...
Das vorliegende Buch richtet sich in seiner betont wissenschaftlich-nüchternen Gestaltung, den fehlenden Illustrationen und der ausschließlichen Nennung von Originaltiteln eindeutig an ein Fachpublikum, also an Filmkritiker, Journalisten, Geisteswissenschaftler und Studierende der höheren Semester. Oft werden zu den Filmtiteln auch die Regisseure nicht genannt, manchmal wird der Originaltitel (z.B. IL CONFORMISTA) später der internationale Titel (z.B. THE CONFORMIST) zitiert, gerade hier wäre es jedoch wichtig gewesen, auf den stark abweichenden deutschen Verleihtitel (DER GROSSE IRRTUM) hinzuweisen. Einige dubiose Einordnung werden ebenfalls schweigend übergangen, etwa wenn Baudrillard THE THREE DAYS OF THE CONDOR, einen Paranoia-Thriller der siebziger Jahre, als „historischen Film“ einordnet... Zweifellos ist den Herausgeber weitgehend der Band gelungen, den er angestrebt hatte, doch nach der Lektüre von 320 Seiten Postmoderne stellt sich dem erschöpften Leser die Frage, ob die Debatte damit nicht bereits an ihr Ende gelangt ist.

Marcus Stiglegger