Various Artists

:A Final Testimony:

(Hau Ruck / Tesco 2004) DCD 22 Tracks

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Auf dem österreichischen Genrelabel Hau Ruck erscheint die 'Gedenk'-CD zum mittlerweile eingestellten spanischen Industrial-Fanzine Sekuencias de culto. Die Doppel-CD kommt im vierseitigen Digipak mit umfangreichem Booklet, das jede Band mit eigenem Artwork präsentiert. Da das Magazin hierzulande nicht bekannt ist, erscheint die CD nun eher als eine - für diesen Bereich nicht ungewöhnliche - Zusammenstellung aktueller Darkambient, Ritual, Industrial und Neofolk-Tracks.

Da das Label einen guten Ruf zu verteidigen hat, gilt es, diese Zusammenstellung einem genauen Blick zu unterziehen: CD 1 konzentriert sich eher auf Industrial- und musique-concrete-Aspekte, CD 2 auf die Dark-Ambient- und Neo-Folk-Stücke, wobei Anfang und Schluss von den Spaniern Tore Honoré Boe mit atmosphärischen Passagen bestritten werden. Die französische Power-Electronics-Band Propgergol erscheint hier auffallend zurückhalten und arbeitet mit einfachen, harmonischen Melodien und emotionalen Filmsamples. Kein schlechter Einstieg. Operation Cleansweep haben sich mit einem äußerst eindringlichen "Hate-Noise" durchgesetzt und enttäuschen auch hier nicht: stark verzerrte Vocals, bohrende Noiseflächen, ein monotoner Rhythmus... Die deutschen Thorofon nähern ihren Sound zusehends jenem Industrial-Elektro-Hybrid an, das man von Haus Arafna kennt und auch auf der aktuellen Dogpop-LP vorfindet (einer Fusion von Thorofon und Anenzephalia). ICK ist ein franzöisches Projekt aus dem PPF-Umfeld, das bereits auf Hau-Ruck veröffentlichte. Das hier enthaltene Stück "Giovinezza" mit klar definierten Elektrorhythmen und einem prägnanten italienischen Sprechgesang gibt einen gelungenen Einblick ins Werk.

Ein erstes echtes Highlight findet man in IRMs "Anatomy:Artaud", einer Collage aus eigenem Material und einer Performance des Theaterphilosophen ("Theater der Grausamkeit"), dessen Konzept von großem Einfluss für die Industrial-Bewegung war und ist. Intensiv und spannend. Mit Svartsinn (vom Cyclic Law-Label) beginnt der Darkambient-Part des Projekts. Düstere Flächen, sorgsam geschichtet. Angenehm, aber nicht aufregend. Die Leipziger Gruppe Inade gibt sich da mehr Mühe auf ihrer Suche nach einem Weltklang: Ihre Klanggespinste glänzen durch eine enorme Differenziertheit. Auch dem gesprochenen Text kommt hier eine große Bedeutung zu - Inade sprengt mühelos die Fesseln der atmosphärischen Musik und markiert die andauernde Suche nach dem 'göttlichen Hybrid' (so auch der Titel). Und die Kombination mit Raison d'être und Herbst9 (ebenfalls auf dem Inade-Label LOKI) leuchtet ebenfalls ein, wobei der schwedische Beitrag die gewohnte Filmsoundtrackqualität bietet (düster-flächig, aber durchaus beunruhigend) und Herbst9 direkt in rituelle Gefilde eindringen. Neben Inade kann Herbst9 als eine der spannendsten Bands in diesem Bereich betrachtet werden. Wolfskin schließen dann mit ihren metallisch-scharrenden Sounds an frühere Organum-Aufnahmen an.

CD 2 setzt zunächst die Ambient-Richtung fort: Die französischen Tribe of Circle (ebenfalls auf Hau Ruck) steigen mit verlangsamten Vocals und anderen geheimnisvollen Sounds ein, bleiben aber recht statisch. MZ.112/Folkstorm-Frontmann Nordvargr Björk bietet mit seinem Historical-Ambient-Outlet Toroidh eine stimmungsvoll-kulturpessimistische Collage ("No Hope for Unity"), die gegen Ende hin die gewohnten Militärtrommeln erklingen lässt. Es ist immer wieder erstaunlich, wie wohl sich die amerikanischen Okkult-Hippies In Gowan Ring in diesem martialischen Umfeld fühlen. Mit "Kingdom of the Shades" bieten sie die bereits übliche Neueinspielung eines bekannten Stückes. Doch dieser traurige Folksong, der extrem an Current 93 erinnert, gehört in jedem Fall zu den Höhepunkten der CD. Karnnos fallen mit ihrem etwas energischeren Stück "Strife" dann deutlich ab: Ihnen hört man das Fandom deutlich an. Die deutschen Hekate aus Koblenz präsentieren einen ganz eigenen, warmen Gitarrenklang, und auch Axel Menz hat hier seine Stimme etwas mehr im Griff als sonst. Inhaltlich schließt man an die liberal-demokratische Tendenz der vorangehenden Veröffentlichungen an ("I believe in place for you and me").

Matt Howden, Violinist von Sol Invictus, steigert sich etwas in seine experimentell-folkloristischen Eskapaden hinein. "The Rattle of the Drums" erscheint mit den Marschtrommeln, dem klagenden Gesang und den überdrehten Streichermelodien etwas bizarr, ebnet jedoch den Weg zu dem vergleichsweise noch schrägeren Novy Svet-Stück, das die gewohnten Elemente (Harmonium, Gitarre, mediterraner Gesang) mischt. Sehr pathetisch wird es dann mit Camerata Mediolanense, die mit "Il lupo" möglicherweise auf den römischen Ursprungsmythos Bezug nehmen: Eine eigene Variante von Gothic-Military-Pop mit Männer- und Frauengesang, leider in einer etwas lieblos gemischten Live-Version.

Wie erwartet, kann die Erlanger Formation Turbund Sturmwerk mit ihrem Track "Zorn Gottes" musikalisch voll überzeugen. Die früheren aggressiven Rhythmen sind inzwischen neoklassischen Passagen gewichen. Der Titel verweist auf eine Einspielung aus Werner Herzogs Film AGUIRRE, in dem Klaus Kinski sich selbst als "Zorn Gottes" wähnt, der mit seiner schönen Tochter eine neue Dynastie gründen wird ("Zusammen werden wir über diesen ganzen Kontinent herrschen"). Im Booklet findet sich dazu allerdings ein Foto von Kinski in Wehrmachtsuniform, was die aus dem Kontext gelöste Idee einer "neuen Dynastie" etwas problematisch erscheinen lässt. Den Ausklang bilden die sehr naturorientierten Klänge von Insticts (der Hausband von Cyclic Law aus Kanada).

:A Final Testimony: ist in jedem Fall hoch interessant und empfehlenswert für HörerInnen der genannten Genres, bietet zwar keine wirklichen Überraschungen, aber zumindest gelungene Beiträge bereits etablierter Bands und Experimentalkünstler. Auch als 'Einstiegsdroge' benutzbar, da der Hörer hier nicht wirklich überfordert wird durch klanglichen Exzess. cd

Various Artists

My Dear Freaks

(Caustic Records 2004) CD 15 Tracks

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Einen weiteren rein spanisch kompilierten Sampler bietet die Darkwave-Radiosendung La Defuncion in Zusammenarbeit mit dem Label Caustic Records. "My Dear Freaks" präsentiert durchweg Fotos von Zirkusfreaks, und folglich beginnt das Intro auch mit einem klassischen Zirkustusch, der sich jedoch bald in düstere Atmosphären wandelt. Morpheus starten dann mit einem stampfenden Beat, der EBM befürchten lässt, bleiben jedoch minimalistisch und bieten letztlich eine heroische Militaryhymne. Narsillon starten dagegen filigran - mit einem Glockenspiel, das auch aus einem Argento-Film stammen könnte. Sie haben sich eher verträumten Gefilden verschrieben. Flöte, Keyboard, glasklarer Frauengesang, später ein männlicher Chorus - Gothic pur, vielleicht etwas an Collection d'arnell-Andrea erinnernd. Schön, vor allem sauber produziert.

Trobar de Morte lässt dann tatsächlich die Frage aufkommen, warum diese spanischen Bands bislang noch keinen Weg nach Deutschland gefunden haben: majestätische Keyboardharmonien, mittelalterliche Rhythmen, Dudelsack und ein variabler, melodiöser Frauengesang bestimmen hier das Klangbild. Eine Gruppe, die neben Arcana und Ataraxia bestehen könnte. Silent Love of Death lassen den Keyboardsound sanft in pathetischen Neofolk übergleiten. Englischsprachiger Männergesang mit stark mediterranem Akzent erinnert etwas an die Folksongs von Kirlian Camera. Ausbaufähig, aber nicht makellos. Lugburz kehren dann mit Natursounds, Elfenstimmen und einer markanten Erzählstimme ins Reich der Fantasy zurück: eine etwas synthetische Etüde, Eskapismus pur.

Reifer erklingen die soundtrackreifen Saxophonsounds, schrägen Streicher und spannungsgeladenen Klavierakkorde von Trajedesaliva. Das ist Gothic-Jazz pur, vielleicht vergleichbar mit einigen Stellen der letzten Sol Invictus-Platten. Circe dagegen knüpfen an die elektroinsche Phase Gitane Demones an, mit Distortionbeats und dominanten Frauenvocals. Fällt etwas aus dem gesetzten Rahmen, was aber kein Fehler ist. Längst bekannt sind O Paradis, die hier die übliche Mixtur aus elektronischen Flächen und spanischem Gesang bieten; ein verhallendes Requiem, solide, aber kein Höhepunkt. Chaos Condensed klingen etwas wie die Tonspur eines jener zahlreichen neuen Mystikthriller aus Spanien: geheimnisvolles Raunen, Saxophon- und Streicherloops - atmosphärisch.

Wirklich finster-grollend präsentieren sich De Profvundis Clamavi mit einer gespenstischen Collage, die schließlich in einen noisigen Beat übergeht. Mit Rhune beginnt eine weitere Neofolkrunde: Eigenwillig pathetischer Gesang und harmonische Gitarre. Cromleck schließen daran an, rsikieren jedoch ein etwas rauheres Klangbild, in das sich auch Marschtrommeln und Fraunechorus mischen. Könnte vor allem Fans von Graumahd gefallen. Mit einer weiteren Soundtrackcollage von Turnavel kommt die CD langsam zu ihrem Ausklang. Das Outro bestreiten energische Akustikgitarrenakkorde.

Insgesamt ist diese Zusammenstellung durchaus als gelungen zu bezeichnen und wird vor allem Gothic-, Ritual- und Neofolk-HörerInnen zusagen. Zudem ist sie ein Bewis, dass es im Europäischen Untergrund brodelt - nicht nur hierzulande. Ein beruhigendes und spannendes Gefühl... MaNic