Nihil Novi Sub Sole

Jupiter Temple

(My Kingdom/Lichterklang 2010) CD 12 Tracks A5 DigiBook

Eines der problematischsten Genres der letzten Jahre ist ein Randphänomen der Darkambientmusik, das man als Historical Ambient bezeichnen kann. Bands wie Le Joyeaux de la Princesse, Toroidh, Arditi u.a. machten es sich zur Aufgabe, die tragischen Jahre des 20. Jahrhunderts - namentlich die zwei Weltkriege – in düster-apokalyptische Soundscapes zu kleiden und mit historischen Samples und martialischen Rhythmen zu hörspielartigen Klangcollagen zu gestalten. Obwohl dabei Kritik und Affirmation unkenntlich zusammenflossen, kann man sich der schillernden Finsternis dieser Tondokumente schwer entziehen.

In den folgenden Jahren – speziell bedingt durch den MySpace-Boom und die Leichtigkeit, mit dem PC Musikkollagen herzustellen – erschienen immer mehr Epigonen dieses Historical Ambient-Sounds, besonders aus dem osteuropäischen Raum: Barbarossa Umtrunk, Jama, aus Dänemark Die weiße Rose, viele tauchen nur mit einem Release auf und verschwinden wieder. Diesen Projekten ist eine noch größere ideologische Indifferenz gemein, die zu keiner klaren künstlerischen Perspektive mehr befähigt. Dazu kommen jene Bands, die den Fokus weg von der Moderne in die klassische Antike legen: aus den USA Marspiter, Oda Relicta aus der Ukraine, aus Holland A Challenge of Honour und aus Holland und England H.E.R.R. („Heiliges Europa Römisches Reich“), sowie aus Berlin Triarii. Hier dient das Römische Reich als stellvertretende historische Diktatur, die durch den historischen Abstand offenbar bedenkenloser glorifiziert werden kann als die jüngere Vergangenheit.

Die ideologische Indifferenz verurteilt fast alle diese Bands zu einem marginalen Nischendasein. Nur selten tauchen Rezensionen und Interviews in größerem Rahmen auf, denn gerade die persönlichen Aussagen einiger Musiker offenbaren oft eine krude Naivität und Fahrlässigkeit im Umgang mit historischen Fakten. Da helfen vor allem keine pauschalen Statements, die eventuelle Kritik bereits im Vorhinein als intolerant und 'gleichgeschaltet‘ abtun wollen. Es zählt letztlich das Werk selbst, und das kann selten das behauptete Niveau halten.

Die Einsicht in diese fast schon etwas peinliche Situation führte zu einer Gegenbewegung von Musikern und Projekten, die sich dezidiert mit antitotalitären Strukturen auseinandersetzen (etwa Militia aus Belgien mit „The Black Flagg Hoisted“), diese zumindest in Namen vorgeben (wie Die weiße Rose) oder den antitotalitären Duktus selbst zum Programm erheben. Zu letzten zählt das neue Projekt Nihil Novi Sub Sole des ehemaligen Metalmusikers Marco Kehren aus Holland, das mit „Jupiter Temple“ zunächst Anklänge an den Antikkult aufkommen lässt, musikalisch, inhaltlich und in den Linernotes dagegen einen etwas differenzierteren Ton anschlägt. Zu apokalyptischen Darkambient-Soundscapes, majestätischen Fanfaren, Chören, elegischen Streicherparts und martialischen Snaredrums hören wir vor allem deutsch- und englischsprachige Vokalsamples, die sich auf die nur unzureichende Aufarbeitung der erlebten Unterdrückung und Diktatur in der Nachkriegszeit nach dem 2. Weltkrieg beziehen. Zeugenaussagen vor Gericht werden zitiert und mit der Klangebene zu einem assoziativen, vielschichtigen Gespinst verwoben, das eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem besagten Phänomen anregen könnte, wenn auch die Titel („Walking Over Mother Desease“, „Paralyze“, „Totgeborener Lebensmut“) mitunter eine eher nihilistische Sprache sprechen – aber das sollte beim Bandnamen nicht verwundern.

Musikalisch hat man hier das Rad nicht neu erfunden („Nichts Neues unter der Sonne“?): Darkambientpassagen bleiben mit Drones, verhallten Beats und martialischen Anleihen im Rahmen des Gewohnten, und die elektronisch programmierten Beats (etwa auf „Stigma“) klingen mitunter arg steril und unorganisch. Positiv jedoch ist das durchaus räumliche Mastering von Axel Frank (Werkraum, Triarii) hervorzuheben, der alles aus dem Material herausholt.

„Jupiter Temple“ von Nihil Novi Sub Sole ist ein durchaus solider Einstieg ins Musikgeschäft durch das junge Label Lichterklang, nicht neu oder originell, aber im besten Sinne professionell. Positiv fällt die übergroße Digi-Verpackung auf, der ein etwas bescheidenes Booklet beigelegt wurde, sowie der volle Sound. Man kann gespannt sein – der Anfang ist gemacht, und zumindest trat man nicht gleich in die üblichen Fallen…

Mirko Werum